Nick Stone - 04 - Eingekreist
hundertvierzig. Bisher passte alles zusammen.
Während ich die Landkarte studierte, fragte ich mich, ob Charlie das in diesem Augenblick ebenfalls tat, bevor er loszog, um die Sunburn zu suchen. Da er nicht über meine Informationen verfügte, würde er die hundert bis hundertzwanzig Kilometer Küste absuchen müssen, die in Reichweite der Sunburn lagen und als Startort dienen konnten. Das war eine Menge Dschungel, die in weniger als zehn Stunden abgesucht werden musste. Ich hoffte, dass das den Unterschied zwischen meiner Zerstörung der Waffe und seiner Wiederinbesitznahme der Sunburn zum sofortigen Weiterverkauf an die FARC ausmachen würde.
Die nächste erreichbare Stelle am Bayano lag sieben Kilometer entfernt und war laut Karte auf einer bei trockenem Wetter gut befahrbaren Schotterstraße zu erreichen. Dort war der Fluss ungefähr zweihundert Meter breit. Von diesem Punkt aus schlängelte der Bayano sich noch ungefähr zehn Kilometer zur Küste weiter. Tatsächlich war sein Unterlauf wegen der zahlreichen Biegungen ein gutes Stück länger. An seiner Mündung war der Bayano dann fast zwei Kilometer breit.
Das war’s schon, mehr wusste ich nicht. Scheiß drauf, ich musste mit den Informationen zurechtkommen, die ich besaß, und einfach weitermachen.
Ich ging nach hinten und schloss die Heckklappe des
Land Cruisers; dann setzte ich mich wieder ans Steuer, ließ den Motor an und fuhr davon.
Ich holperte durch die dunkle, schlafende Kleinstadt und versuchte, Chepo mit Hilfe des Silva-Kompasses, den ich weiter umgehängt trug, nach Süden zu verlassen. Wie die Landkarte, die ich zu Charlies Haus mitgenommen hatte, stammte auch diese Karte im Maßstab 1:50000 aus den Achtzigerjahren, und Chepo war seit damals ziemlich gewachsen.
Erst als ich schon eine Zeit lang unterwegs war, fiel mir ein, dass ich mich nicht von Carrie und Luz verabschiedet hatte. Auch wenn Carrie nichts gehört hätte, wäre es nett gewesen, ihr Lebewohl zu sagen.
Nachdem ich zwei Flaschen Evian in mich hineingeschüttet und fast eine Stunde auf der Schotterstraße, die jetzt mit einer glitschigen Schlammschicht bedeckt war, hinter mich gebracht hatte, sah ich im Lichtkegel meiner Scheinwerfer unmittelbar vor mir einen Fluss. Ich hielt, kontrollierte die zurückgelegte Entfernung nochmals auf der Landkarte, sprang dann mit meiner Stablampe aus dem Wagen und kletterte die schlammige Uferböschung hinunter. Die Zikaden waren laut, aber das Wasser rauschte noch lauter.
Selbst nach den starken Regenfällen der letzten Tage war der Fluss kein reißender Strom, dessen Wassermassen sich tosend an mir vorbeiwälzten; er war breit und tief genug, um alles Wasser aus seinen Nebenflüssen aufzunehmen, die für stetigen Zustrom sorgten. Jedenfalls floss er in die richtige Richtung — von rechts nach links an mir vorbei zum Pazifik —, obwohl das in diesem Teil des Landes in unmittelbarer Nähe der Küste alle Wasserläufe tun würden.
Ich lief am Ufer entlang und hielt Ausschau nach einem Boot oder irgendetwas anderem, das mich rasch flussabwärts bringen würde. Aber hier gab es nicht mal einen Bootssteg . keine Fahrspuren, nichts, nur Schlamm, kümmerliches Gras und ab und zu einen verkrüppelten Baum.
Ich kletterte wieder die Böschung hinauf, setzte mich in den Wagen und verglich nochmals Landkarte und Tageskilometerzähler. Dieser Fluss musste der Bayano sein: In näherer Umgebung gab es keinen annähernd so breiten Wasserlauf, mit dem ich ihn hätte verwechseln können.
Ich wendete, fuhr auf meiner Fahrspur in Richtung Chepo zurück und hielt auf beiden Straßenseiten Ausschau nach einem Versteck für den Land Cruiser, aber selbst nach drei Kilometern war das Gelände, das die Scheinwerfer mir zeigten, noch immer eigenartig kahl. Ich stellte den Wagen schließlich am Straßenrand ab, holte die inzwischen getrockneten Gurtzeuge, das M-16 und den Reservekanister heraus und trabte damit zum Fluss zurück, während meine Ausrüstung an mir herumbaumelte wie an einem Jungpfadfinder, der schlecht gepackt hat.
40
Samstag, 9. September
Mir kam es vor, als hätte ich mein gesamtes Leben damit zugebracht, unter einem Baum im Schlamm zu sitzen und auf eine Million Zikaden zu horchen, deren Schrillen die Nacht erfüllte. Aber diesmal befand ich mich nicht unter dem Laubdach des Dschungels, sondern drunten am Bayano, der in der Dunkelheit vor mir vorbeirauschte. Die Moskitoschwärme waren hier kleiner, aber trotzdem hatten mich genügend
Weitere Kostenlose Bücher