Nick Stone - 04 - Eingekreist
alle Geräusche unnatürlich laut klangen, schienen sogar die Palmblätter lauter zu rascheln als sonst. Die scharf stechenden Rippenschmerzen waren lästig, aber ich wusste, dass alle Beschwerden schlagartig verschwinden würden, sobald das Zielobjekt in Sicht kam.
Während ich mich näher an die von der Sonne beschienene Fläche heranschob, gerieten Laub und sonstiger Scheiß vom Waldboden in meine Jackenärmel und vorn in mein Sweatshirt. Die Plastiktüten in der Innentasche meiner Jacke raschelten leise. Da meine Jeans mir längst wieder in den Kniekehlen hingen, während mein Sweatshirt sich hochgeschoben hatte, zerkratzten mir kleine Zweige den nackten Bauch. Alles nicht gerade erfreulich.
Noch ein kurzer Satz, dann machte ich Halt, um zu beobachten und zu horchen. Ich wischte mir langsam den Schweiß aus den Augen, wünschte mir, sie wären nicht so müde, und zerquetschte dabei irgendein fliegendes Ungeheuer, das meine linke Backe anfressen wollte. Vor mir konnte ich außer Sonne und Schlamm noch immer nichts erkennen; ich wusste, dass ich mich auf dem Boden liegend bis an den Rand des Dschungels würde vorarbeiten müssen, bevor ich wirklich erkennen konnte, was dort draußen lag.
Die erste wichtige Beobachtung machte ich, als ich einen parallel zur Baumlinie verlaufenden Drahtzaun entdeckte. Ich bewegte mich langsam auf den stachligsten, am wenigsten einladend aussehenden Busch am Rand der Lichtung zu, schlängelte mich hinein und zerschnitt mir dabei die Hände an seinen mit Dornen besetzten Zweigen. Die Dornen waren so scharf, dass man die Schnitte nicht gleich spürte; der Schmerz kam erst einige Sekunden später, so als habe man sich mit einer Rasierklinge geschnitten.
Ich lag auf dem Bauch, stützte mein Kinn in beide Hände und bemühte mich, alle Einzelheiten in mich aufzunehmen. Sobald ich aufhörte, mich zu bewegen, versammelten sich die Stechmücken über mir wie
Jumbos, die auf Landeerlaubnis in London-Heathrow warten.
Ich stellte fest, dass ich durch einen Drahtzaun mit einer Maschenweite von zehn Zentimetern sah, der eher Wild als Menschen abhalten sollte. Das Haus war offenbar sehr neu, und Charlie Chan hatte es mit dem Einzug anscheinend so eilig gehabt, dass er nicht abgewartet hatte, bis die nötigen
Sicherheitseinrichtungen installiert waren.
Die freie Fläche vor mir war ein mindestens acht Hektar großes sanft gewelltes Plateau. Hier und dort ragten Baumstümpfe wie Zahnstummel aus dem Boden und warteten darauf, ausgegraben oder gesprengt zu werden, bevor Rasen angesät wurde. Von meinem Versteck aus konnte ich keines der beiden Meere, sondern nur Bäume und Himmel sehen. Von Planierraupen gerodetes Gestrüpp wartete in großen Haufen darauf, abtransportiert zu werden, aber in jeder anderen Beziehung florierte das Geschäft von Choi & Co. seit dem Abzug der Amerikaner offenbar. Das Haus sah mehr wie ein Luxushotel als wie das Refugium einer Großfamilie aus. Das Hauptgebäude stand höchstens dreihundert Meter links von mir. Da ich das Zielobjekt nicht in gerader Verlängerung von Tor und Mauer vor mir hatte, musste ich einen Haken geschlagen haben, weil ich weiter rechts als geplant aus dem Dschungel gekommen war. Von hier aus konnte ich die Fassade und die rechte Seite des Hauses überblicken. Es war eine riesige zweistöckige Villa im spanischen Stil mit schneeweißem Außenputz, schmiedeeisernen Balkonen und geschmackvollen Terrakottaziegeln. Etwas abseits erhob sich ein komplett verglaster Aussichtsturm. Von seiner Plattform würden die beiden Ozeane zu sehen sein.
Vom Haupthaus strahlten nach allen Seiten weitere unterschiedlich hohe Giebeldächer aus, die eine Ansammlung von Veranden und Durchgängen überspannten. Rechts neben dem Haupthaus glitzerte ein von einer erhöhten Terrasse umgebener Swimmingpool; am Terrassenrand standen mehrere Imitate von abgebrochenen römischen Steinsäulen, die einen Gladiator-Look erzeugen sollten. Hier fehlten nur noch ein paar Statuen von Spaniern aus dem 16. Jahrhundert mit Schwertern und bauschigen Kniehosen.
Ebenfalls rechts neben dem Hauptgebäude lagen hinter einem hohen Maschendrahtzaun vier Tennisplätze. In der Nähe der Tennisanlage standen auf Betonsockeln drei Satellitenschüsseln. Vielleicht schaute sich Charlie gern Football oder Direktübertragungen von der Börse an, um zu sehen, wie seine Geldwaschaktivitäten liefen.
Entlang der großen kreisförmigen Auffahrt, in deren Mitte ein üppig verzierter spanischer Brunnen
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