Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
berühren. Die Tür ließ sich leicht aufziehen, und die Maske, mit der das Schloss blockiert gewesen war, fiel nach draußen. Ich bückte mich, hob den Karton auf, trat aus dem Haus und atmete tief durch, um den Gestank aus Nase und Lunge zu bekommen, während ich in Richtung Friedhof
davonging.
Suzy war nirgends zu sehen. Ich nahm Schwimmbrille, Gesichtsmasken und rechte Handschuhe in die Linke, zog die Latexhandschuhe so darüber, dass sie alles bedeckten, und warf das Bündel in den nächsten Abfallbehälter.
Dann suchte ich mir eine freie Bank und fing an, mir etwas Sorgen wegen einer möglichen Ansteckung zu
machen – nun ja, große Sorgen. Ich wusste, dass ich einigermaßen geschützt gewesen war, und hatte mich möglichst von ihnen fern gehalten, aber was war mit den Flaschen? Was war, wenn eine von ihnen undicht war?
Ich sagte mir, dass ich keine Zeit hatte, darüber nachzudenken: Es gab noch immer zu viel zu tun.
Ich schaltete das Handy ein, wollte Suzy anrufen und erreichte nur ihre Mailbox. Auch ein zweiter Versuch hatte nicht das gewünschte Ergebnis. Was ging hier vor?
Beim dritten Anruf meldete sie sich endlich. Ich
konnte Verkehrslärm und ihre Schritte hören. »Wo bist du?«
»Bergmannstraße.«
»Ich konnte dich nicht erreichen.«
»Muss in einem Funkloch gewesen sein. Hab mir
gerade die Rückseite des Gebäudes angesehen.«
»Ich bin wieder auf dem Friedhof. Ich habe sie. Kannst du zwei Tragetaschen mitbringen?«
»Bin in ein paar Minuten da.«
Als ich das Gerät ausschaltete und wieder in meine Bomberjacke steckte, strömten Menschen an den
Fenstern im ersten Stock des Apartmentgebäudes vorbei.
Die Gottesdienstbesucher waren wieder zur Arbeit
unterwegs.
Ich musste annehmen, dass die Flaschen luftdicht
versiegelt waren. Diese Leute hätten ihr ohnehin schon fast gescheitertes Unternehmen nicht noch mehr
gefährden wollen. Sie wollten, dass der Anschlag in London gelang. Deshalb hatten sie sich in der Wohnung eingeigelt. So wollten sie verhindern, dass frühzeitig Alarm gegeben wurde.
Suzy kam durch das schmiedeeiserne Tor, als ich eben ein paar zusätzliche Doxycycline-Kapseln schluckte. Ich winkte ihr zu, was sie mit einem fröhlichen Lächeln quittierte, bevor sie sich zu mir setzte. Wir begrüßten uns mit einem Kuss auf die Wange. Dann gab sie mir zwei am Griff noch nicht getrennte weiße Tragetaschen aus einem Supermarkt.
»Dort oben sieht’s beschissen aus.« Ich schilderte ihr, was ich gesehen hatte. »Ich bin dafür, dass wir uns ein Taxi nehmen und abhauen. Wer weiß, vielleicht
bekommen wir einen früheren Flug.«
Ich fing an, den Karton in eine der Tragetaschen zu stellen, aber Suzy schüttelte den Kopf. »Was ist mit den beiden dort oben? Vielleicht haben sie noch mehr von diesem Zeug. Sie könnten auf die Idee kommen …«
»Sie werden auf keinen Fall etwas tun, was den
Londoner Anschlag gefährden könnte.« Ich versenkte die Tasche mit dem Karton in der zweiten Tragetasche.
»Lass die Dreckskerle sich tothusten. Hey, die sitzen dort oben fest.«
Suzy war nicht überzeugt. »Aber der Rest der Flasche könnte noch in der Wohnung sein. Du hast gesehen, was dieses Zeug anrichten kann. Komm schon, Nick, wir müssen etwas unternehmen.«
Ich atmete tief durch. »Solltest du irgendwelche tollen Ideen haben, höre ich sie mir gern an. Aber ich kann vorläufig nichts Besseres tun, als diesen Scheiß nach London zu bringen. Wegen Kelly, verstehst du?« Ich stand mit den Tragetüten mit Dark Winter auf, und wir gingen durch den Friedhof davon. »Sorry, aber so ist es nun mal.«
Wir vermieden es, an dem Apartmentgebäude
vorbeizugehen, weil wir nicht wussten, ob ein ASU-Mitglied die Straße beobachtete. Ich wollte nicht, dass uns jemand zusammen sah – wir wussten nicht, ob sie mit dem Informanten in Verbindung standen.
Wenig später saßen wir hinten in einem Taxi und
waren zum Flughafen Tegel unterwegs.
Die Umbuchung auf einen früheren Flug klappte
problemlos. Die letzte Abendmaschine war immer am besten besetzt, deshalb war Air Berlin nur froh, dass zwei Fluggäste ihre Plätze räumten. Wir gingen gleich ins Abfluggebäude hinüber, wo Suzy ein Eau de Toilette und zwei riesige Toblerone-Riegel kaufte, sodass wir für den Weinkarton zuletzt zwei Tragetaschen aus dem Berliner Duty-free-Shop hatten. In dem Meer aus roten
Tragetaschen, die auf unseren Flug warteten, nahm er sich ganz normal aus.
Als die Maschine nach Stansted abhob, stand
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