Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
bestimmt Bescheid.
Ich stand einfach da, starrte die Klinke an und hielt die Stirn ans Türblatt gedrückt. Meine Hände schoben sich in die Jackentaschen. Sie schlossen sich um Homers Kopf und die Schlüssel und pressten sie zusammen, bis mir die Finger wehtaten.
An jenem Tag im April 1997 war Sonnenlicht durch
diese Tür in die Diele gefallen, aber ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, ins Wohnzimmer zu sehen. Ich war zu sehr darauf fixiert gewesen, in die Küche zu gelangen, in der ich sanfte Rockmusik hörte. Trotzdem musste ich aus dem Augenwinkel etwas wahrgenommen haben,
denn nach einigen Schritten blieb ich wie angenagelt stehen. Mein Gehirn musste Informationen
aufgenommen, sich aber sekundenlang geweigert haben, sie zu verarbeiten.
Ich hielt Homer krampfhaft umklammert, während
eine Woge aus Übelkeit über mich hinwegging. Mein internes Video begann mir wieder zu zeigen, was ich damals gesehen hatte – in leuchtenden Technicolor-Farben. Schwer zu glauben, dass das alles sechs Jahre zurücklag, und noch schwerer zu glauben, dass es noch so dicht unter der Oberfläche gespeichert sein konnte.
Scheiße, ich dachte, ich hätte diese Sache unter Kontrolle.
Zu spät. Der Videofilm lief ab.
Kevin, dem jemand mit einem Baseballschläger den
Schädel zertrümmert hatte, lag auf der Seite auf dem Fußboden. Den Schläger, ein schönes leichtes Ding aus Aluminium, hatte er mir erst bei meinem letzten Besuch vorgeführt. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen und gelacht, als er mir erzählte, dass die hiesigen Rednecks sie als »Alabama-Lügendetektoren« bezeichneten.
Dann beugte ich mich über seinen Körper – nur für den Fall, dass er noch atmete. Keine Chance. Sein Gehirn quoll aus dem Schädel, das Gesicht war eingeschlagen.
Die Sitzgruppe und der Teppich waren mit Blut getränkt.
Sogar an der Fenstertür zur Veranda waren Blutspritzer zu sehen.
Was war mit Marsha und den Kindern? War der
Mörder noch im Haus?
Ich brauchte eine seiner Pistolen, eines dieser
Scheißdinger, die Kevin im Haus versteckt hatte, damit sie ihnen notfalls Schutz bieten konnten. Er hatte mir einmal alle Verstecke gezeigt: stets außer Reichweite von Kleinkindern, stets geladen und gesichert, stets ein Magazin im Griff und eine Patrone in der Kammer.
Wenig später hielt ich eine USP, eine 9-mm-Pistole von Heckler & Koch, in der Hand. Diese Waffe hatte sogar ein Laservisier unter dem Lauf – wohin der rote Punkt zeigte, ging auch der Schuss.
In meinen Augen standen Tränen, als mir wieder der Song im Radio einfiel, irgendwas von Arrowsmith, einer von Marshas Lieblingssongs. Ich blieb an die Tür gelehnt stehen, wartete darauf, dass mein Herzjagen nachließ, und drehte dann den Kopf nach rechts in Richtung
Küchentür. Dort hatte ich Marsha und die Kinder zuerst gesucht. Das war der nächste Raum gewesen, von dort war Musik gekommen.
Ich stieß mich von der Wohnzimmertür ab. Meine
Caterpillars dröhnten über den nackten Dielenboden, und Arrowsmith lieferte den Soundtrack zu dem Video in meinem Kopf.
Mit schussbereiter Pistole, um abdrücken zu können, sobald ich ein Ziel sah, hatte ich die Tür aufgestoßen und war gleichzeitig seitlich neben den Rahmen getreten. Das Radio war lauter geworden, und die Waschmaschine war gelaufen – die Trommel hatte sich gedreht, war stehen geblieben, hatte sich wieder gedreht.
Ich war vorgetreten und hatte die Tür ganz
aufgestoßen. Nichts. Nur ein kleiner, leuchtend roter Lichtpunkt, wo der Laserstrahl die gegenüberliegende Wand traf.
Heute dagegen kein Radio, keine Waschmaschine,
kein gar nichts. Aber schon damals war ich mir wie an Bord der Marie Celeste vorgekommen. In der Küche waren Vorbereitungen fürs Abendessen zu sehen. Kevin hatte gesagt, Marsha wolle etwas Besonderes kochen.
Der Tisch war schon halb gedeckt.
Ich war langsam durch die Küche gegangen und hatte die Verbindungstür zur Garage abgesperrt. Ich hatte nicht nach oben gehen und dabei riskieren wollen, dass die Jungs hinter mir ins Haus eindrangen.
Dann merkte ich plötzlich, dass ich Homer weiter
umklammert hielt, und lockerte meinen Griff. Während wieder Blut in meine Hand schoss, lehnte ich am
Ausguss und starrte die Verbindungstür zur Garage an.
Das war die Tür, durch die ich hätte gehen sollen, aber ich konnte nicht anders – ich musste erst nach oben gehen.
Ich ging wieder in die Diele hinaus und setzte einen Fuß auf die unterste Stufe, die nicht mehr mit einem Treppenläufer
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