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Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen

Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen

Titel: Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy NcNab
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Nick?«
    Ich stand auf und stellte mich hinter sie. Anfangs saß sie nur passiv da, ohne selbst Schwung zu holen, aber dann schien ihr wieder einzufallen, was sie zu tun hatte.
    »Was hast du mit deinem Finger gemacht?« Sie hatte ein Pflaster am rechten Zeigefinger, und die Haut darunter sah rot und entzündet aus.
    »Ich habe in Physik etwas Dummes gemacht. Aber das verheilt schon wieder.«
    Ich stieß sie eine Zeit lang schweigend an. Das gefiel mir. Es erinnerte mich an die schönen Stunden, die ich hier hinter dem Haus verbracht hatte.
    »Das hat Daddy immer als Erstes gemacht, wenn er
    von der Arbeit gekommen ist«, sagte sie. »Erst hat er Mom einen Kuss gegeben, dann ist er rausgekommen
    und hat mit uns gespielt. Das war schön. Nicht alle Väter tun das.«
    »Nicht alle Väter lieben ihre Kinder so sehr, wie er’s getan hat.«
    Das gefiel ihr. »Mom hat uns Kekse und Kool-Aid
    gebracht. Manchmal sind wir alle bis zum Abendessen draußen geblieben.« Sie grinste. »Wir haben uns immer gefreut, wenn du zu Besuch gekommen bist. Mom hat uns ermahnt, danke zu sagen, wenn du uns Süßigkeiten mitbringst – und sie bei ihr abzuliefern. Sie war die Bonbonpolizei.« Als die Schaukel sie zu mir zurücktrug, wurde ihre Miene wieder ernst, und ich hielt Kelly an, sodass ihr Kopf an meiner rechten Schulter lag, während ich zuhörte. »Ich habe mich immer sicherer gefühlt, wenn du mit Daddy hier warst. Weißt du noch? Mom hat euch
    ›meine beiden starken Männer‹ genannt. Ich war immer ängstlich, wenn nur er hier war, weil ich wusste, dass Leute hinter ihm her waren.«
    »Ja, weil er so gute Arbeit geleistet hat.«
    »Habt ihr zusammengearbeitet?«
    »Wir waren gemeinsam beim Militär. Als er deine
    Mami geheiratet hat, ist er hierher gekommen.«
    Kelly betrachtete ihre Laufschuhe, dann hob sie
    ruckartig den Kopf. Ihre blauen Augen starrten mich durchdringend an. »Warum mussten Mom und Aida
    sterben, Nick?«
    Darüber hatten wir nie gesprochen. Ich hatte irgendwie angenommen, sie wisse Bescheid – vielleicht weil ihre Großeltern oder Dr. Hughes oder Josh mit ihr darüber gesprochen hatten. Mir kam es vor, als hätte ich
    versäumt, sie aufzuklären, weil ich gehofft hatte, sie werde sich das nötige Wissen selbst aneignen. Oder vielleicht wusste sie doch Bescheid und wollte nur hören, wie ich erneut versuchte, das Unerklärliche zu erklären.
    »Dein Vater war einer der guten Kerle. Aber sein Boss hat sich mit Drogenhändlern eingelassen, und dein Vater ist ihm auf die Schliche gekommen. Sein Boss hat ihn ermorden und dann alle beseitigen lassen, die als Zeugen hätten aussagen können.«

    »Mom und Aida?«
    »Ja.«
    »Wie kommt’s, dass ich nicht auch umgebracht
    worden bin, Nick? Wie kommt’s, dass ich als Einzige am Leben geblieben bin?«
    »Das weiß ich nicht, Kelly. Wären diese Leute fünf Minuten früher oder später ins Haus gekommen, hätten sie dich vielleicht auch erwischt.«
    »Das hätte allen viel Ärger erspart.«
    Ich ließ sie los, ging um die Schaukel herum und
    stellte mich vor Kelly hin. »Hey, das darfst du nicht sagen. Das darfst du nicht mal denken!« Ich beugte mich nach vorn und ergriff ihre Hände.
    »Manchmal fühle ich mich echt beschissen, Nick.
    Irgendwie von allem isoliert. Weißt du, was ich meine?«
    »So habe ich mich in meinem Leben oft gefühlt.« Ich zögerte, dann zog ich sie enger an mich. »Weißt du, ich habe als Achtjähriger erlebt, wie jemand gestorben ist.«
    Sie setzte sich gerade auf. »Wirklich?«
    Ich beschrieb ihr das ehemalige Fabrikgebäude in der Nähe unserer Sozialwohnsiedlung. Alle Fenster und Türen waren mit Brettern verschalt und außerdem mit Stacheldraht gesichert, aber das konnte uns nicht aufhalten. »Über eine kleine Tür auf der Rückseite des Gebäudes war eine alte Wellblechtafel genagelt, aber die war locker. Wir gelangten hinein und kletterten aufs Dach. Ich weiß noch, wie ich vor Anstrengung gekeucht und meinen Atem als weiße Wolke gesehen habe.« Die Luft in zehn Meter Höhe war mir viel kälter
    vorgekommen als am Boden. »Ich bin an die Dachkante getreten und habe auf die Lichtkreise unter den
    Straßenlaternen hinabgeblickt. Die Straße war
    menschenleer, sodass uns niemand sehen konnte. Alles wirkte so friedlich. Ich hatte die Straßen in unserer Umgebung noch nie so still erlebt. Und dann war ein Geräusch, ein wirklich schreckliches Geräusch zu
    hören.«
    »Was war es?« Sie drängte sich an mich.
    »Zersplitterndes Glas.

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