Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
mich heute Morgen zum Bahnhof gefahren hast.«
»Ah, richtig. Zum Zug um acht Uhr sechzehn, nicht wahr? Dem Schnellzug zum Bahnhof Waterloo?«
»Genau!«
»Ein paar Wochen, das klingt herrlich. Ich wünsche euch viel Spaß. Sie scheint wirklich ein nettes Mädchen zu sein. Bringst du sie irgendwann mit?«
»Alles zu seiner Zeit, Rosemary – du brauchst dir noch keinen neuen Hut zu kaufen. Gibt’s irgendwas, das ich wissen sollte?«
»Eigentlich nicht viel. Wir haben einen neuen
Fernseher im Wohnzimmer; er ist letzten Dienstag
gekommen. Du warst gerade unterwegs, deshalb hast du die Lieferung nicht mitgekriegt. Ein Breitbandfernseher von Sony, schwarz, vierundzwanzig Zoll. James und dir gefällt er sehr, aber ich mag ihn nicht besonders, weil er den Unterschrank so klein aussehen lässt. Du weißt, welchen ich meine? Den braunen mit dem
Eichenfurnier?«
»Klar doch. Aber das darf dich nicht stören – dafür ist Delia dann größer und besser als je zuvor. Bestellst du James einen schönen Gruß von mir?«
»Natürlich. Er ist gerade nicht hier; er ist zum
Waitrose gefahren. Nachdem er sich lautstark darüber beschwert und sogar den Vorsitz des Komitees
übernommen hat, das den Bau verhindern wollte, treibt er sich jetzt ständig dort herum!«
Wir lachten beide, dann verabschiedete ich mich und ging in die Küche, um Tee zu kochen.
Die Türsprechanlage summte, und ich drückte auf die Taste. Eine leicht nervöse Stimme meldete sich: »Hallo, ich bin Simon, ich werde erwartet, glaube ich. Eine Lady namens Yvette hat mich aufgefordert, um drei Uhr hier zu sein.«
Ich betätigte den elektrischen Türöffner, als Suzy aus dem Schlafzimmer kam, die Tür hinter sich schloss und dann rasch Küche und Wohnzimmer kontrollierte, damit nicht zufällig eine MP5 auf dem Teetablett liegen geblieben war.
Ich setzte den Wasserkessel auf, dann öffnete ich die Wohnungstür. Ein Blick ins Treppenhaus zeigte mir einen ordentlich gescheitelten blonden Haarschopf, der die Treppe heraufstieg. Als er näher kam, sah ich, dass sein Besitzer Anfang dreißig, groß und hager und sehr gepflegt war. Das war eigentlich nur logisch: Hatte man den ganzen Tag von fleischfressenden Käfern und
ähnlichem Scheiß umgeben gearbeitet, hatte man
anschließend bestimmt das Bedürfnis, sich gründlich zu schrubben.
Als er den obersten Treppenabsatz erreichte, trat ich von der Tür zurück, um ihn einzulassen. Simon war ein Zweimetermann: Ich hatte seinen Hals vor Augen. Er hielt eine zerschlissene Umhängetasche aus Segeltuch umklammert, die noch aus seiner Studienzeit stammen musste. Er hätte Captain des Baseballteams seiner Universität sein können, war dazu aber bestimmt zu höflich gewesen.
»Hallo, Kumpel.«
Er zögerte vor der Tür, hielt die Hand halb
ausgestreckt, wusste nicht recht, was er tun sollte. Wir schüttelten uns die Hand, lächelten einander zu. Er war frisch rasiert und hatte auf den Wangen kreisrunde rote Flecken, die man sonst nur bei Zirkusclowns sieht. Das mochte vom Treppensteigen kommen, aber vielleicht war er auch nur aufgeregt. Er kam mir sofort wie einer dieser Leute vor, die von Natur aus zu jedermann nett und freundlich sind.
Ich deutete nach rechts, und er folgte mir ins
Wohnzimmer. Dort bot ich ihm das Sofa an. »Ich bin gerade dabei, Tee zu machen – wollen Sie auch einen?«
Suzy kam herein und streckte ihm mit einem
freundlichen »Hallo!« die Rechte hin. Er saß schon halb, war aber immer noch so groß wie sie, als ihre Hand in seiner verschwand. »Keinen für mich, danke. Ich bleibe nicht lange; unten wartet ein Wagen auf mich. Um halb fünf soll ich den nächsten Vortrag halten.«
Sie lächelte weiter, während sie kurz zu mir
hinübersah. Um halb fünf würde er keinen weiteren Vortrag halten, sondern in Isolierhaft wandern, bis dieses Unternehmen beendet war. »Sie wollen nichts von
seinem Tee? Kluge Entscheidung – ich wette, das meiste Zeug in Ihrem Labor schmeckt besser.«
Ein verdammt schwacher Witz, aber er lachte trotzdem und schien noch immer nicht recht zu wissen, ob er wieder aufstehen oder sich hinsetzen sollte. Suzy machte ihm ein Zeichen, er solle sich endlich setzen. »Simon, nicht wahr?«
»Ja, Simon, Simon Ma–«
Sie hob die Hand. »Simon tut’s völlig. Nun, Simon, was haben Sie heute für uns?«
19
»Darf ich?« Seine Tasche schwebte über dem
Couchtisch, während er auf Erlaubnis wartete.
»Natürlich.« Suzy tat ihr Bestes, damit er sich wohl fühlte,
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