Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
weltweit nur in rund dreißig Fällen pro Jahr.« Simon tippte auf die noch auf dem Couchtisch liegenden Fotos und machte ein trauriges Gesicht. »Der alte Archibald hatte das Pech, einer davon zu sein.«
Der gute alte Archibald war mir wirklich scheißegal.
Ich wollte, dass Simon beim Thema blieb. »Die
Lungenpest lässt sich als Waffe einsetzen?«
Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Darüber mag man gar nicht nachdenken. Nur fünfzig Kilo davon, die über einer Großstadt von der Größe Londons versprüht
würden, würden bis zu hundertfünfzigtausend Menschen infizieren, von denen fast ein Drittel sterben würde. Und das wären nur die Opfer von Primärinfektionen. Diese Zahlen würden sich vervielfachen, wenn die Erreger von Infizierten in andere Städte oder Grafschaften verschleppt würden. Die Lungenpest breitet sich durch
Tröpfcheninfektion wie ein Lauffeuer aus – ein einfaches Husten oder Niesen genügt, um alle Umstehenden
anzustecken. Leider gibt es kein effektives
Frühwarnsystem gegen die Bakterien: Dass man sich angesteckt hat, weiß man erst, wenn die Symptome
auftreten.«
Ich merkte, dass ich noch immer meine Jacke anhatte, und stand halb auf, um sie auszuziehen. »Wie lange dauert das also – bis die Symptome auftreten?«
»Zwischen der Ansteckung und den ersten Symptomen können ein bis sechs Tage liegen, aber die häufigste Spanne liegt zwischen zwei und vier Tagen.«
»Worauf müssten wir also achten?«
»Nun, das erste Anzeichen für einen Angriff wäre
vermutlich eine Woge von Erkrankungen, die zunächst für schwere Lungenentzündung und Blutvergiftung
gehalten würden. Träten anfangs relativ wenige Fälle auf, würden sie wegen der klinischen Ähnlichkeit mit anderen Formen von Lungenentzündung vielleicht nicht als
Lungenpest erkannt – und weil nur sehr wenige hiesige Ärzte jemals einen Fall von Lungenpest gesehen haben.
Es könnte bis zu zehn Tage dauern, bis die
Gesundheitsbehörden merken, was tatsächlich passiert ist, und bis dahin wären die Erstinfizierten alle tot.« Er zog die Ärmel seiner Wolljacke hoch. »Der Einsatz dieser Pestform als biologische Waffe wäre einfach katastrophal.«
»Wie würden Sie das Zeug einsetzen, wenn Sie ein
Terrorist wären?«
»Das Bakterium Yersinia pestis lässt sich in großen Mengen züchten und mit etwas Geschick sehr leicht verbreiten. Die Nährlösung mit dem Erreger würde
getrocknet und sehr fein zermahlen werden müssen, damit sie in Aerosolform verbreitet werden kann. Über einer Stadt könnte ein Sprühflugzeug eingesetzt werden; denkbar wäre auch, dass der Erreger in großen
Stahlflaschen komprimiert und dann von Leuten, die mit dem Auto herumfahren, auf den Straßen freigesetzt wird.
Auch noch kleinere Behälter wären denkbar: unter Druck stehende Flaschen in einem Rucksack oder sogar normale Sprühdosen. Die Methode spielt keine große Rolle – aber sobald der Erreger freigesetzt ist, würde eine unsichtbare ansteckende Wolke bis zu einer Stunde lang in der Luft hängen und darauf warten, inhaliert zu werden.«
Suzy spitzte die Lippen. »Dieses Pulver, Simon …
ließe es sich in einer Flasche transportieren? Und nehmen wir mal an, wir hätten zwölf Weinflaschen davon – wie groß wäre die Fläche, die man damit kontaminieren könnte?« Sie legte den nassen Kaugummi auf die
Tischkante, bevor sie aufstand und zu ihrer Handtasche hinüberging.
Simons Blick folgte ihr. »In einer Flasche, ja, wenn sie gut verschlossen wäre.«
Suzy setzte sich mit ihren Zigaretten und einem
Wegwerffeuerzeug in der Hand. Während sie eine
Benson & Hedges aus der Packung nahm, sah er zu mir hinüber, und sein Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er verstanden hatte.
»Deswegen bin ich hier, stimmt’s? Weil Pesterreger gefunden worden sind? Zwölf Weinflaschen zu einem Dreiviertelliter – das wären neun Liter. Wo? Welche Kontrollmaßnahmen sind veranlasst worden? Sind die Gesundheitsbehörden …«
Sie unterbrach ihn, indem sie ihm eine Zigarette anbot, und zu meiner Überraschung nahm er eine.
»Nein, Simon, wir wissen nicht, welche
Kontrollmaßnahmen in Kraft sind. Wir versuchen, das Zeug zu finden.« Suzy sah zu mir herüber, und ich nickte, während sie sich ihre Zigarette anzündete. Da er ohnehin in Isolierhaft kommen würde, spielte es keine Rolle, wie viel er wusste. Sie atmete eine Lunge voll Rauch ein, dann gab sie ihm das Feuerzeug.
Er betrachtete es einige Sekunden lang, bevor er die Zigarette
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