Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
waren wir in milchiges Weiß gehüllt, als das Scheinwerferlicht durch unsere beschlagenen Scheiben fiel. Ich sah zu Suzy hinüber. Sie wirkte überhaupt nicht mehr hektisch, als sie die Augenscheibe ihrer Schutzmaske mit kurzen,
geistesabwesenden Bewegungen erneut putzte. Ich
überzeugte mich ein letztes Mal davon, dass das
Druckventil fest zugeschraubt war, und fragte mich, ob ihr vielleicht eine Doxycycline-Kapsel im Hals stecken geblieben war.
Wir sammelten das Rasierzeug und alle Plastikbeutel ein, stiegen wieder aus und warfen das Zeug in den Kofferraum. Was wir im Zielgebiet brauchten, war jetzt in den Bereitschaftstaschen verstaut, sodass ich die Gummihandschuhe ausziehen und in meine
Jackentaschen stecken konnte. Nichts von dem, was wir aus dem Wagen mitnehmen würden, trug unsere
Fingerabdrücke; wir zogen steril los und würden mit etwas Glück ebenso wieder zurückkommen.
»Wie kommt’s, dass du dich hier auskennst?« Sie
schloss die Heckklappe. »Familienferien?«
Wir gingen auf beiden Seiten des Wagens nach vorn zurück. »Sehr witzig«, sagte ich. In der Dunkelheit war ihr Gesicht nicht zu erkennen. »Wir haben keine
Ferienreisen gemacht.« Und wir waren auch keine
richtige Familie gewesen. »Ich habe mal ein paar Meilen weiter südlich an der Küste gewohnt. Nur für kurze Zeit.«
»Mit Kelly?«
Wir öffneten die Türen, und die Innenbeleuchtung
flammte auf, als wir beide einstiegen. Suzy wartete auf eine Antwort, die sie jedoch nicht bekommen würde.
»Okay, dann eine andere Frage. Ist es ein Zufall, dass der Informant sich in King’s Cross einquartiert hat?«
»Ich will nur diesen Job hinter mich bringen, damit ich in die Staaten zurückkann.«
»Damit du dich um Kelly kümmern kannst?«
»Um allen möglichen Scheiß.«
32
Unsere Türen wurden geschlossen, und die
Innenbeleuchtung ging aus. Während sie den Motor
anließ, rückte ich die Browning zurecht, weil der halb gespannte Hahn sich schmerzhaft in meinen Oberbauch bohrte. Die Rötung, die davon kam, dass ich jahrelang Pistolen im Hosenbund getragen hatte, war nie ganz verschwunden, aber jetzt begann sie zu nässen.
Zwei weitere Wagen kamen vorbei. Der Fahrer des
letzten Autos hupte mehrmals kräftig, und seine
Mitfahrer brüllten bei offenen Fenstern anzügliche Bemerkungen.
Suzys alte Hektik war zurückgekehrt. »Sie glauben, dass wir bumsen.« Sie legte die Hände an den Mund und gab vor, laut zu antworten, als sie in der Ferne
verschwanden. »Hey, so verzweifelt bin ich noch nicht!«
Ich sah auf meine Traser, während Suzy ihre Hälfte der Windschutzscheibe abwischte. »Soll das heißen, dass ich mich umsonst rasiert habe?«
Als wir in Richtung Hafen zurückfuhren, leuchteten die Bogenlampen innerhalb des Zauns wie das Flutlicht eines Fußballstadions. Links von uns, jenseits der dunklen unbebauten Fläche, versuchte das Coronation-Street -Land, damit Schritt zu halten. Die Straßenlampen entlang der Walker Street begannen am Bach und
erstreckten sich von uns weg, aber sie warfen kein Licht auf den Trampelpfad parallel zum. Bachbett. Zwischen der Rückseite der Häuser und den Zäunen lag eine
sichere Schattenzone, in der wir arbeiten konnten.
Suzy erinnerte mich daran, dass wir noch etwas zu erledigen hatten, bevor wir parkten und zu Fuß zum Ziel weitergingen. »Du musst ihn anrufen, Nick. Ich würde’s tun, aber ich muss leider fahren.«
»Ich würde ihn lieber erst anrufen, wenn wir fertig sind – dann behalten wir alles unter Kontrolle.« Je mehr der Jasager wusste, desto mehr Änderungswünsche
konnte er vorbringen, um damit Einfluss auf unsere Entscheidungen zu nehmen. So mochte ich nicht
arbeiten.
»Das können wir nicht machen, wir müssen ihn jetzt anrufen. Willst du nicht, rufe ich ihn selbst an, kein Problem. Er braucht einen Lagebericht.«
Er brauchte einen Tritt in den Hintern, aber der würde noch warten müssen. Ich klappte zögernd das Nokia auf und wählte seine Nummer. Mir widerstrebte es, ihn da-rüber zu informieren, was ich vorhatte; ich kam mir dadurch exponiert vor. Das Telefon klingelte nur einmal.
»Sie hätten früher anrufen sollen.«
»Wir haben die Erkundung durchgeführt. Das Ziel
müssten wir in ungefähr einer Stunde erreichen. Alles Weitere hängt davon ab, wie schnell wir reinkommen.
Wir haben kein Lebenszeichen entdeckt.«
»Sobald Sie rauskommen, will ich wissen, ob Sie Dark Winter haben – und in welcher Menge. Sie bringen sich ohne Rücksicht auf
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