Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
Filtereinsatz nicht ans Metall schlagen konnte, benutzte ich das rechte Ohr, um oberhalb des Bügelgriffs an dem Spalt zwischen Türblatt und Rahmen zu lauschen. Einige Sekunden lang hatte ich den Eindruck, in eine große Muschel hineinzuhorchen und nur Meeresrauschen zu hören; dann waren auf der anderen Seite das leise Knarren einer Tür und näher kommende Schritte zu hören.
Ich trat lautlos zwei Schritte zurück, hielt meine Waffe schussbereit, hatte die Tür im Visier und blinzelte jetzt nicht mehr. Was war, wenn zwei herauskamen? Wenn nur einer herauskam, dem ein anderer im Hintergrund Feuerschutz gab? Die Antwort war im Prinzip immer die gleiche: Kam jemand aus dieser Tür, musste ich zum Angriff übergehen. Ich konnte nicht erst auf Suzy warten; sie würde meine Reaktion richtig deuten und mich unterstützen.
Die Schritte kamen näher. Mein Zeigefinger fand den ersten Druckpunkt.
Die Schritte verstummten. Ich atmete tief durch, starrte durchs HDV weiter die Tür an und hielt mich bereit, jeden zu erschießen, der ins Treppenhaus kam.
Noch immer nichts.
Dann hörte ich gleich hinter der Tür ein vertrautes Geräusch. Der Hundesohn pinkelte in einen Eimer.
Es schien endlos lange zu dauern. In meinen Gummihandschuhen sammelte sich Schweiß an; er tropfte auch vom rechten Lid, brannte heftig und ließ mich sekundenlang nur verschwommen sehen.
Als ich nochmals tief durchatmete, hörte ich Gemurmel. Es kam nicht von dem Kerl, der hier pinkelte, sondern irgendwo aus dem Hintergrund. Der plätschernde Strom wurde schwächer und versiegte schließlich ganz.
Die Schritte entfernten sich wieder. Ich streckte meinen Zeigefinger und kehrte mit gesicherter Waffe und dem Finger seitlich am Abzugsbügel zu meinem Platz an der Tür zurück. Ich hörte noch ein Husten, aber dann wieder nur das Meeresrauschen.
Der Eimer war eine taktisch richtige Entscheidung. Selbst wenn die Wasserversorgung noch funktioniert hätte, konnte so keine Klospülung rauschen.
Es wurde Zeit, dass wir dort eindrangen. Ich entfernte mich von der Tür, bis mein Kopf sich auf gleicher Höhe mit Suzys befand. Sie überwachte mit schussbereiter Waffe die andere Stahltür.
Ich konnte hören, wie sie schwer durch den Filtereinsatz atmete. Ich hielt Mittel- und Zeigefinger hoch, senkte den Daumen, zeigte auf ihr Gesicht und deutete zuletzt auf den Bügelgriff der Brandschutztür. Suzy machte kehrt und bewegte sich auf die andere Tür zu, während ich Schussposition einnahm und energisch den Kopf schüttelte, um den verdammten Schweiß aus den Augen zu bekommen.
Suzy, die links neben der Tür blieb, sah ein letztes Mal zu mir herüber und zog dann langsam die Tür auf. Der Türschließer knarrte, nicht sehr laut, aber mir kam dieses Geräusch wie ein Pistolenschuss vor.
Sowie der Türspalt breit genug war, schlüpfte ich ins Dunkel dahinter und kauerte mich nieder. Hier gab es keine Fenster, sondern rechts und links nur massive Wände. Mein Gesicht war schweißnass, meine Kehle wie ausgedörrt, als ich mit weit aufgerissenen Augen geduckt weiterschlich und langsam zu atmen versuchte, um jedes Geräusch zu vermeiden. Ich hörte das leise Klicken, mit dem die Brandtür sich unter Suzys Hand schloss, und spürte dann etwas Weiches, Glitschiges unter meinem Überschuh. Die Kerle hatten hier draußen nicht nur gepinkelt.
Vor mir war ein Murmeln zu hören - vielleicht zehn Meter entfernt, vielleicht noch weiter. Ich erstarrte. Außer dem schwachen Leuchten des Visiers der MP5 konnte ich nichts sehen, obwohl meine Augen sich langsam an die Dunkelheit gewöhnten. Ich beugte mich nach vorn, um besser zu hören.
Drei bis vier Minuten verstrichen, dann fing ich an, zwei Meter links vor mir eine geschlossene Tür zu erkennen. Ich schob mich näher an sie heran. Was war, wenn sie nicht zusammen waren? Wenn sie auf verschiedene Räume aufgeteilt waren? In dem Spalt unter der Tür war jedoch kein Lichtschein zu erkennen.
Aus dem vorderen Teil des Korridors kamen gedämpfte Geräusche: zwei, vielleicht drei Stimmen, die leise miteinander redeten. Die Sprache erkannte ich nicht, aber was zum Teufel kümmerte mich das? Ich wusste nicht, ob Suzy mitbekommen hatte, was ich gehört hatte, aber wenn ich Halt machte, würde sie es ebenfalls tun. Es wurde Zeit, die Kopfhauben überzuziehen.
Ich hielt meine Waffe nach oben und machte langsam kehrt, um nicht in ihr Schussfeld zu geraten oder gegen etwas zu prallen.
Ich hatte erst zwei Schritte auf sie zugemacht, als
Weitere Kostenlose Bücher