Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
»Wie gut kennst du den Boss? Bei der Einsatzbesprechung vor Penang ist es mir so vorgekommen, als hättet ihr schon einiges miteinander erlebt .«
»Ich kenne ihn kaum - wir fühlen uns nur unwiderstehlich zueinander hingezogen.«
Sie merkte, dass ich Ausflüchte machte. »Ja, natürlich.«
»Hast du deine Deckadresse schon angerufen?«
»Nö. Wir müssen uns erst eine Story überlegen. Penang ist jetzt Geschichte, stimmt’s?« Sie richtete sich auf, sodass unsere Gesichter kaum eine Handbreit auseinander waren, und lächelte fast herausfordernd. »Gib dir ein bisschen Mühe, okay?« Ihr Atem roch noch immer nach B & H. »Man könnte glauben, du wärst lieber nicht hier.«
Wir verbrachten ein paar Minuten damit, uns eine plausible Story auszudenken, dann ging ich ins Wohnzimmer, um mit meinem eigenen Handy zu telefonieren, während Suzy im Schlafzimmer das Gleiche tat. Nach dem dritten Klingeln hörte ich die freundliche Stimme einer Frau in mittleren Jahren. »Hallo?«
»Rosemary, hier ist Nick. Wie geht’s euch?«
»Danke, sehr gut. Wie war der Urlaub?«
»Fantastisch.«
»Du hast vergessen, uns eine Ansichtskarte zu schicken, böser Junge.«
Diese beiden waren gute Leute, James und Rosemary. Ihre Aufgabe war es, meine Legende zu bestätigen und zugleich ein Teil davon zu sein. Während meiner Tätigkeit als K hatte ich sie möglichst oft besucht - vor allem vor Einsätzen -, sodass meine Legende im Lauf der Zeit immer überzeugender geworden war. Sie wussten nichts von meinen Einsätzen, wollten auch gar nichts davon wissen: Wir sprachen nur darüber, was im Dorfclub vor sich ging und wie man Rosen vor Blattläusen schützte.
Alle meine Ausweise, alle meine. Kreditkarten, einfach alle Dinge, für die man eine Adresse brauchte, liefen über ihre Anschrift. Ich hatte vier Wochen- und Monatszeitschriften abonniert, damit regelmäßig Post für mich kam und meine Kreditkarten belastet wurden. Ich stand sogar im dortigen Wählerverzeichnis. Seit ich nach Amerika umgezogen war und für George arbeitete, hatte ich die beiden über ein Jahr lang nicht mehr gesehen, sodass wir vor dem Job in Penang viel zu besprechen gehabt hatten. Das war für uns alle eine ziemliche Überraschung gewesen.
»Das mit der Karte tut mir Leid, aber du weißt ja, wie’s in Spanien aussieht - und das Wetter war herrlich.«
»Ich bin fast grün vor Neid, mein Lieber. Wir überlegen selbst, ob wir uns dieses Jahr einen Spanienurlaub leisten können.« Sie hatte die Message verstanden: Malaysia war Geschichte. »Was kann ich also für dich tun, Nick?«
»Der Urlaub war so schön, dass ich daran denke, mit meiner neuen Freundin für einige Zeit, vielleicht für ein paar Wochen, nach London zu gehen. Scheint eine regelrechte Romanze zu sein . Du weißt weiterhin nur, dass sie Suzy oder Zoe oder so ähnlich heißt. Aber eigentlich rufe ich an, um mich dafür zu bedanken, dass du mich heute Morgen zum Bahnhof gefahren hast.«
»Ah, richtig. Zum Zug um acht Uhr sechzehn, nicht wahr? Dem Schnellzug zum Bahnhof Waterloo?«
»Genau!«
»Ein paar Wochen, das klingt herrlich. Ich wünsche euch viel Spaß. Sie scheint wirklich ein nettes Mädchen zu sein. Bringst du sie irgendwann mit?«
»Alles zu seiner Zeit, Rosemary - du brauchst dir noch keinen neuen Hut zu kaufen. Gibt’s irgendwas, das ich wissen sollte?«
»Eigentlich nicht viel. Wir haben einen neuen Fernseher im Wohnzimmer; er ist letzten Dienstag gekommen. Du warst gerade unterwegs, deshalb hast du die Lieferung nicht mitgekriegt. Ein Breitbandfernseher von Sony, schwarz, vierundzwanzig Zoll. James und dir gefällt er sehr, aber ich mag ihn nicht besonders, weil er den Unterschrank so klein aussehen lässt. Du weißt, welchen ich meine? Den braunen mit dem Eichenfurnier?«
»Klar doch. Aber das darf dich nicht stören - dafür ist Delia dann größer und besser als je zuvor. Bestellst du James einen schönen Gruß von mir?«
»Natürlich. Er ist gerade nicht hier; er ist zum Waitrose gefahren. Nachdem er sich lautstark darüber beschwert und sogar den Vorsitz des Komitees übernommen hat, das den Bau verhindern wollte, treibt er sich jetzt ständig dort herum!«
Wir lachten beide, dann verabschiedete ich mich und ging in die Küche, um Tee zu kochen.
Die Türsprechanlage summte, und ich drückte auf die Taste. Eine leicht nervöse Stimme meldete sich: »Hallo, ich bin Simon, ich werde erwartet, glaube ich. Eine Lady namens Yvette hat mich aufgefordert, um drei Uhr
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