Nicodemus
Stegreif schrieb Nicodemus eine Magnuspeitsche. Doch mit einer kleinen Handbewegung zauberte Fellwroth eine Numinuswelle herbei und Nicodemus’ Zauber zersprang in tausend Satzglieder. Dann versuchte Nicodemus, eine zweite Peitsche zu schreiben, doch die fahle Hand des Ungeheuers klammerte sich um seine Kehle.
Kaum hatte Fellwroth ihn berührt, schoss ihm ein brennender Schmerz durch sein Keloid. Ihm war, als würde das Mal in Flammen stehen.
Dann versank er in tiefe Dunkelheit.
Vor Nicodemus flackerten die Bilder seines letzten Albtraums auf. Er befand sich wieder in der niedrigen Höhle und starrte auf den weißverhüllten Körper. »Fellwroths richtiger Körper«, sagte eine jungenhafte Stimme.
In den Händen des Ungeheuers lag der tränenförmige Smaragd. Erneut erklang die Stimme: »Ich träume deine Träume, du träumst meine.«
Entsetzt stellte Nicodemus fest, dass diese Stimme seine eigene Kinderstimme war, die aus dem Smaragd kam.
Und dann änderte sich das Bild mit einem Mal, und Nicodemus war ganz woanders. In einem abgedunkelten Raum stand sein Vater – ein hochgewachsener Mann mit olivbraunem Teint. Auf dem Tisch vor ihm lag ein Baby.
»So wurden wir getrennt«, sagte seine Kinderstimme, und in diesem Moment presste sein Vater den Smaragd gegen den Nacken des Babys. Das kleine Wesen schrie auf, als ein weißes Licht aus dem Edelstein strömte und ihm in die Haut stach.
Als das Licht erlosch, blieb am Hals des Kindes eine deutliche Narbe zurück. Geformt wie der Zopf, wurde sie noch durch eine weitere Rune, die Inkonjunktrune, verunstaltet.
Nicodemus schnappte nach Luft. Es war sein eigener Vater gewesen, der ihn gebrandmarkt hatte. Er war also gar nicht mit diesem Keloid geboren worden, so wie es dem Halkyon geweissagt war. Also konnte er auch nicht der Halkyon sein!
»Denk nicht weiter darüber nach«, raunte ihm die Stimme aus dem Smaragd zu. »Denk lieber hieran.« Plötzlich befand sich Nicodemus in einem fremden Land, inmitten einer Berglandschaft. Es war Nacht, und vor ihm schlängelte sich ein breiter Fluss.
»So hat sich Fellwroth unserer bemächtigt«, sagte der Stein.
Ein Riese stand knapp hüfthoch in den dunklen Fluten. Er hatte langes rotes Haar und eine Haut so glänzend schwarz wie Rabenflügel. Aus Johns Beschreibungen wusste Nicodemus, dass dieser Dämon Taifonius sein musste.
Da trat auf einmal Fellwroth mit einer Klinge aus gleißendem Licht von hinten heran. Wortlos stach er Taifon das Messer in die Seite – stieß wieder und wieder zu, bis der Dämon zusammenbrach und sich in eine Kugel leuchtend roter Sprache verwandelte. Fellwroth verstümmelte die Sätze und der Fluss trug die Fragmente davon.
Abermals war Nicodemus von Dunkelheit umgeben. »Gib auf die Narbe Acht«, sagte die Stimme aus dem Smaragd. »Sie wird dich an Fellwroth verraten.«Die Vision war verschwunden … und Nicodemus stand wieder an der Mauer mit Blick auf das Compluvium.
Der Golem Fellwroths hatte die Hand zurückgezogen, als hätte er sich an Nicodemus’ Haut verbrannt, und immer noch verbarg die zerrissene Kapuze die Augen des Ungeheuers, doch der schmale, blutleere Mund war in Panik aufgerissen.
Nicodemus begriff nun endlich. »Der Smaragd ist der gestohlene Teil meines Geistes«, sagte er. »Er schickt mir diese Träume. Träume vom Aufenthaltsort Eures richtigen Körpers, Träume von Euren Verbrechen. Zuvor habe ich den Drachen gesehen, und was Ihr Eric angetan habt. Und jetzt weiß ich auch, was Ihr mit Taifon gemacht habt.«
Stumm bewegte Fellwroth die Lippen.
»Ihr wart der Sklave des Dämons!«, rief Nicodemus aus.
Fellwroth schlug zu und brüllte: »ICH HABE IHN IHM FLUSS ERSTOCHEN !«
Nicodemus machte einen Satz zurück, doch der Schlag hatte ihn bereits an der Schulter erwischt. Ein jäher Schmerz zog sich bis in seine Brust, der Kopf schwirrte ihm und taumelnd ging er zu Boden.
Im nächsten Moment stand Fellwroth mit geballten Fäusten über ihm. Ein goldener Numinusstachel ragte aus der rechten, ein Magnusstachel aus der linken Hand hervor.
»Ich schlag dir deinen zurückgebliebenen Geist zu Brei«, stieß Fellwroth wutschnaubend hervor und holte mit rechts aus.
In diesem Moment tauchte Kyran über ihnen auf. Das Gesicht des Druiden war blutüberströmt, und abermals wuchsen ihm brennende Zweige aus den Händen. Knurrend packte er Fellwroths Rechte. Die Zweige schlängelten sich am Arm des Golems empor. Ihre Flammen schossen in die Höhe, versengten den Ärmel und der
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