Nicodemus
Sprenkeln.
Ruckartig hob der Golem die Hand, als wollte er mit einem Zauber angreifen. Doch eines der Nachtwesen stürzte sich sogleich auf ihn. Es war der Troll mit den drei Hörnern; das gedrungene Ding drückte ihm den Arm auf die Erde.
Schlagartig wurde Nicodemus klar, dass er den Troll schon einmal gesehen hatte. Viele Male gesehen hatte.
Hier stimmte etwas nicht. Stimmte ganz und gar nicht.
Nicodemus’ Herz hämmerte. Er versuchte sich aus dem Haufen der Nachtwesen zu befreien, doch vor seinen Augen tanzten orangene Flecken. Die Erde bebte, und gleich würde er ohnmächtig werden.
Die Nachtwesen wisperten und flüsterten, drängten ihn, stillzuhalten, so dass sie ihn weiter verbergen konnten. Vor Nicodemus tauchte der kleine, augenlose Drache mit den Tentakeln am Kinn auf. Ihn erkannte er auch; er hieß Tamelkan. Den Namen hatte er ihm mit vierzehn gegeben.
Seit seiner Zeit in Starhaven hatte sich Nicodemus vorgestellt, welche Schrecken wohl im nahen Wald ihr Unwesen treiben. Angeregt von den unzähligen Ritterromanen hatte Nicodemus davon geträumt, sich aus der Akademie zu stehlen und es mit seinen erdachten Feinden aufzunehmen.
Und nun, so unwahrscheinlich es ihm auch vorkam, waren diese Träume Wirklichkeit geworden. Die Nachtwesen hatten ihn vor Fellwrothversteckt, und diese Wesen, die ihn auch jetzt noch am Boden festhielten, waren die Monster aus seiner Kindheit.
In seiner Angst zappelte er noch heftiger, und es gelang ihm, zwei der blauen Wesen von sich zu schütteln. Schwankend richtete er sich auf die Knie, doch Tamelkan stürzte sich sofort auf ihn, und seine Tentakel wickelten sich um Nicodemus’ Kopf.
Und Nicodemus – überwältigt von seinen eigenen dunklen Fantasien – stürzte zu Boden und verlor das Bewusstsein.
Kapitel 32
Als Nicodemus wieder zu sich kam, schwebte er durch den nächtlichen Schattenwald. In den Baumkronen rauschte der Wind, wogten schwarze Äste. Wie Ebbe und Flut tanzten Licht und Schatten über den Waldboden.
Mit einem Aufschrei richtete sich Nicodemus auf, er war Fellwroth nur ganz knapp entkommen. Er musste wohl in Ohnmacht gefallen sein, nachdem der Golem verendet war.
Sein Angstschrei schien in tausend Stücke zu zerspringen. Nicodemus stürzte und landete unsanft in einem Schneebeerenbusch. Die Nachtwesen flohen vor ihm.
In seinen Träumen waren sie riesig gewesen. Doch diese blauhäutigen Gesellen waren Miniaturausgaben, selbst Tamelkan war kaum größer als ein Reh.
Nicodemus erinnerte sich daran, dass ihn die Fantasiewesen gewaltsam auf den Boden gedrückt und festgehalten hatten. Kurz bevor er die Besinnung verloren hatte, hatte Tamelkan ihm seine blauen Tentakel um den Kopf geschlungen. Doch die Nachtwesen schienen ihm nicht feindlich gesinnt. Tatsächlich hatten sie ihn sanft durch den Wald getragen. Garkex, der Feuertroll, schalt die anderen Wesen mit schwer verständlicher Piepsstimme. Über dem Kopf trug er den Index.
In diesem Moment fragte sich Nicodemus, ob er noch recht bei Verstand war. Was er für Erinnerung hielt, schien ihm mehr Wahnvorstellung oder Albtraum zu sein. War er wirklich Fellwroth begegnet und hatte erfahren, dass seine Eltern Dämonenanbeter waren? Während er über diese Frage nachdachte, beruhigten sich die anderen Nachtwesen dank Garkex wieder und warfen Nicodemus verstohlene Blicke zu.
Garkex setzte seine unverständliche Standpauke fort. Und zaudernd wie verängstigte Hunde kamen die Wesen zurückgeschlichen. Einige verneigten sich, andere senkten die Schnauze oder die Stielaugen. Der Feuertroll baute sich vor Nicodemus auf und überreichte ihm feierlich den Index.
Nicodemus schüttelte den Kopf. Nein, er war nicht verrückt geworden, Fellwroth war ihm wirklich begegnet und nun blickte er Garkex, der erfundenen Nemesis seiner Kindheit, ins Gesicht.
Nicodemus nahm den Index an sich. Nun setzte der Minitroll an, auch ihm eine Strafpredigt zu halten – und je leidenschaftlicher die Rede wurde, desto höher schlugen die Flammen aus seinen Hörnern.
Ungläubig starrte Nicodemus die Nachtwesen an, als sie ihn wieder aufhoben und die Reise durch den Wald fortsetzten. Sollte er jetzt nicht die Flucht ergreifen?
Doch wenn die Wesen ihm hätten schaden wollen, hätten sie ihn bereits während seiner Ohnmacht in Stücke reißen oder einfach Fellwroth überlassen können. Also ließ er sich von den Monstern tragen.
Als sie eine Lichtung passierten, wurden sie in fleckiges Mondlicht getaucht. Ihre Route führte an einen
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