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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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nahm er den Zauber in die Hand und übersetzte ihn.
     
    »Die indigoblaue Sprache, wie Ihr sie nennt, ist Wrixlan. Es ist unsere Sprache, mit der wir Licht und andere Texte beeinflussen können, ähnlich Eurem Numinus. Starhaven ist erfüllt von Wrixlan-Metazaubern. Unbewusst habt Ihr Wrixlan herbeigerufen, denn es ist eugraphisch. Ihr habt von diesen Wesen geträumt, und die Starhavener Metazauber haben voller Mitgefühl die Gestalt Eurer Traumwesen angenommen. Nachdem Eure Wesen zunehmend intelligenter wurden, hat die in Starhaven herrschende Sprache sie als Gefahr eingestuft und verbannt. Deshalb haben Euch die Geschöpfe auch so gehasst, Ihr habt sie unwissentlich ins Exil getrieben.«  
     
    »Wer seid Ihr?« Blitzschnell huschten Nicodemus’ Augen hin und her, doch außer Efeu und Ruinen konnte er nichts entdecken. »Wo seid Ihr?«
    Und wie zuvor schwebte ein Wrixlanabsatz hinter ihm. Er ergriff ihn und übersetzte.
     
    »Die Auswüchse Eurer jugendlichen Fantasie haben Euch offenbar vergeben. Sie hätten sich auch in den Index zurückziehen können, doch aus Eurer Haut werden sie noch mehr Kraft schöpfen. Ich habe schon eine ganze Weile versucht, sie zu überreden, Euch hierher zu bringen.«  
     
    Nicodemus schüttelt ungläubig den Kopf. »Was wollt Ihr? Zeigt Euch!«
    Und als bestünden die Buchstaben aus gebündelten Mondstrahlen, entstand die Antwort diesmal direkt vor ihm in der Luft.
     
    »Ich bitte nur um einen kleinen Gefallen und kann Euch dafür viele Antworten bieten. Ihr befindet Euch in keiner Gefahr, denn wir sind zu schwach. Die stoffliche Welt können wir nicht beeinflussen und die textliche nur in geringem Maße.«  
     
    Als ihm die Bedeutung dieser Worte aufging, musste Nicodemus schwer schlucken. »Ihr seid also tot?« Zunächst sah er zwischen den Efeuranken nichts weiter als sanftes, violettes Licht. Dann tanzten winzige indigoblaue Funken durch die Luft, die sich zu Schwärmen vereinten, um sich schließlich zu Beinen und Rumpf zu verdichten.
    Beim Näherkommen gewann das Wesen weiter an Kontur und Farbe: weiß, indigo und grau. Doch die Prosa nahm keine feste Gestalt an, nach wie vor konnte Nicodemus die verfallenen Ruinen dahinter durchscheinen sehen. Auf den ersten Blick hätte man das Wesen für ein Menschenkind von acht oder zehn Jahren halten können. Die spindeldürren Beine hatten knubbelige Knie und endeten in breiten Füßen. Der schmächtige Körper war in eine weiße Tunika gehüllt, in die nur für den rechten Arm ein kurzer Ärmel genäht war. Einen linken Arm schien das Wesen nicht zu besitzen. Der rechte Arm aber war lang und anmutig mit einem prägnanten Ellenbogen und einem schmalen Unterarm. Die breite Hand endete in langen, schlanken Fingern.
    Der Zauber kam Nicodemus über die efeubewachsene Treppe entgegengeklettert. Beim Laufen nutzte er die rechte Hand als dritten Fuß. Als das Wesen den Vorsprung erreichte, trat Nicodemus einen Schritt zurück. Seine Haut war von einem fahlen Grau, das lange Haar schneeweiß. Die Augen standen faustbreit auseinander und die Pupillen waren wie bei einer Katze senkrecht geschlitzt. Die schnabelartige Nase krümmte sich über ein zartes Kinn.
    Als das Wesen lächelte, kamen stumpfe Zähne zum Vorschein, dann schrieb es einen Wrixlansatz in die Luft. »Ihr habt recht: Wir sind tot. Zauberschreiber, sei willkommen in unserer letzten Ruhestätte«, und verneigte sich.
    Nicodemus schnappte nach Luft, dann verneigte auch er sich vor dem Wesen, das nur ein chthonischer Geist sein konnte.

Kapitel 33
    Amadi wurde von einem scharfen Klopfen geweckt. Einen Moment lang starrte sie verwirrt an die weiße Wand ihrer Starhavener Kammer. Im Traum hatte sie gerade mit einem riesigen Runenwurm gerungen. Der bandagierte Arm tat ihr noch immer weh.
    Es klopfte erneut, und sie erhob sich mühsam von der Pritsche. Draußen vor dem Fenster war noch alles dunkel. »Wer ist da?«
    »Kale, Magistra.«
    »Herein«, rief sie ihrem Sekretarius zu und legte sich ein Gewand um.
    Der junge Ixonier glitt ins Zimmer.
    »Kale, mich schaudert, dich schon wieder zu sehen. Bestimmt habe ich nicht länger als eine Stunde geschlafen. Ist die Wurmplage von Neuem ausgebrochen?«
    »Nein, Magistra«, sagte er mit schreckensgeweiteten Augen. »Ein weiterer Todesfall, eine Kakographin.«
    Amadi rang nach Atem. »Ist Shannon entkommen?«
    »Nein, er sitzt noch immer eingesperrt unter dem Sommerturm. Devin Dorshear, Nicodemus’ Flurkameradin, ist tot. Nicodemus und

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