Nicodemus
Gebirgsbach, den die Wesen in Windeseile überwanden. Dann trugen sie Nicodemus durch ein Dickicht voller Farne, dessen gefiederte Blätter ihn an den Beinen kitzelten. Garkex beschimpfte das Grün dafür, dass es sich ihnen so unverfroren in den Weg stellte.
Im Schein des Mondes sah Nicodemus seinen Atem, der in der Kälte in weißen Wolken aus seinem Mund kam. Die Nachtwesen marschierten an Teichen vorbei, über Wiesen und durch dichtes Gestrüpp. Überall im Wald standen tote Bäume. Nicodemus betrachtete die Landschaft und dachte über Fellwroths Worte nach.
Konnte er einem Golem Glauben schenken? War es wirklich möglich, dass ein Dämon seine Geburt arrangiert hatte?
Sein Herz schlug heftig. Von dem Tag an, an dem er von seiner Kakographie erfahren hatte, war alles schief gegangen. Danach war sein Leben nie mehr so gewesen, wie es »hätte sein sollen«. Er warnicht dazu bestimmt gewesen, gefährlich verschriebene Sätze in die Welt zu setzen. Der Halkyon hätte er sein sollen, Quell segensreicher und heilsamer Texte.
Doch nun kam es ihm so vor, als wäre genau das seine Bestimmung: seine Schreibschwäche, seine Ungeheuerlichkeit. Er kam aus einer Familie von Dämonenanhängern. Und mit ihm hatten sie ein Monstrum geschaffen.
Natürlich konnte Fellwroth gelogen haben, aber im Grunde seines Herzens wusste Nicodemus, dass der Golem ihm die Wahrheit gesagt hatte.
»Ich lasse mich nicht zur Marionette eines Dämons machen«, knurrte Nicodemus und ballte die Fäuste. Der Golem hatte gesagt, die direkten Nachkommen der kaiserlichen Familie seien ein Werkzeug, mit dem man den Krieg der Sprachen entweder vorantreiben oder verhindern konnte.
Dann würde er eben ein Werkzeug des Widerstands werden.
Nicodemus schloss die Augen und stellte sich den Smaragd von Arahest vor. Der tränenförmige Stein erstrahlte vor seinen Augen; in ihm lag seine Rettung, und er würde alles daran setzen, ihn zurückzuerlangen. Dann wäre er endlich vollkommen und könnte sich den Separatisten entgegenstellen.
Mit einem Mal wurde sein Keloid wieder heiß. »Flammender Himmel!«, fluchte er.
Von Fellwroth wusste er, dass die Narbe seinen Aufenthaltsort verriet, indem sie einen unsichtbaren Zauber aussandte. Der Golem hatte aber auch gesagt, dass eine unbekannte Macht diese Zauber stören würde. Nicodemus vermutete, dass es sich bei dieser Macht um die Magie der Nachtwesen handelte. Trotz alledem hatte Fellwroth immer noch seinen ungefähren Aufenthaltsort ermitteln können.
Da gab es kein Entkommen. Zudem durfte er den Drachen nicht außer Acht lassen. Wenn Fellwroth den Drachen, der Trillinon angegriffen hatte, nun tatsächlich mit Hilfe des Smaragds geschaffen hatte? Könnte Nicodemus überhaupt guten Gewissens weiterleben, wenn er doch wusste, dass sein Tod einen derartigen Angriff zumindest hinauszögern würde? War es nicht vielleicht sogar seine Pflicht,seinem Leben ein Ende zu setzen? Nein, schwor er sich stumm, er würde sich nicht von der Angst unterkriegen lassen.
Er schloss noch einmal die Lider, um die düsteren Gedanken zu verscheuchen. Sofort hatte er den Smaragd wieder lebhaft vor Augen. Er verspürte ein warmes Kribbeln im Gesicht, und plötzlich wusste er instinktiv, dass Fellwroth recht gehabt hatte: Der Edelstein wollte zu ihm zurück. Bei dem Gedanken, den Stein in seinen Besitz zu bringen, schlug ihm das Herz höher.
»Ganz ruhig«, raunte er und versuchte, seine aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Er musste seinen Verstand gebrauchen. Als nächstes sollte er nach Deidre suchen, um möglichst viel von ihr zu erfahren.
In diesem Moment umfing sie ein so dichter Kiefernwald, dass sie in vollständige Dunkelheit gehüllt waren. Selbst die Mittagssonne hätte mit ihren Strahlen nicht hineindringen können.
Garkex stieß kleine Flammen aus den Hörnern, und im Licht seiner Flammen wurde eine Felswand sichtbar. Die Nachtgestalten stapften jedoch darauf zu, als wäre sie gar nicht vorhanden. Nicodemus blieb nur noch, die Arme hochzureißen, bevor er gegen den Fels schlagen würde.
Nichts geschah.
Als er die Hände wieder herunternahm, erkannte er, dass sie durch die Felswand hindurch auf einen Vorsprung getreten waren. Der Fels war nur eine Täuschung gewesen, ein glänzender Tarntext.
Garkex ließ einen Schrei ertönen, und Nicodemus wurde sanft im Moos abgesetzt. Die Gesellschaft stand nun auf einer Kuppe, die den Blick auf eine mondbeschienene Lichtung freigab, mit vereinzelten
Weitere Kostenlose Bücher