Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
Vom Netzwerk:
in Augenschein zu nehmen. Von der Messingverzierung ging ein schwaches Leuchten aus.
    »Ich tue das, um Euch meine guten Absichten zu beweisen.« Er schlug das Buch auf und legte seine Hand auf die Seite.
     
    Gleißend weißes Licht und dann Schwärze. Mit einem Schlag war Nicodemus nicht mehr er selbst. Er war ein Anderer in einer anderen Zeit.
    Ein junger Chthone, der sich von seiner frühabendlichen Zauberei ein wenig ausruhte. Barfuß stand er auf einer neu errichteten Brücke; ihr Kopfsteinpflaster war noch immer warm von der Sommersonne. Er sah nach Osten. Vor ihm erstreckte sich ein staubiger Landstrich voller gefällter Bäume und Steinhaufen.
    Schon bald würden auch hier Türme entstehen, und die Stadt würde noch weiter anwachsen. Dahinter erhoben sich die mondbeschienenen Berge. Mitten in einer Felswand klaffte der Eingang eines breiten Tunnels, der direkt in den Berg hinein führte.
    Vor langer Zeit hatten seine Vorfahren diesen Tunnel gebaut, um der Unterwelt zu entfliehen. Doch manchmal waren blauhäutige Plünderer grölend aus dem Tunnel gekommen, hatten Essen, Werkzeuge und Frauen geraubt. Sein Volk hatte dann zum Gegenschlag ausgeholt, die Blauhäute in den Tunnel verfolgt und sie getötet oder versklavt.
    Jetzt herrschte Waffenstillstand. Wehre waren errichtet worden, die Chthonen hatten den Eingang mit ihren Metazaubern versperrt, während die Blauhäute ihnen Tausende ihrer grabenden Schildkröten entgegengesetzt hatten. Nun konnten nur noch offizielle Gesandtschaften von der Unter- in die Oberwelt wechseln.
    Um den Waffenstillstand zu feiern, wurde die Felswand verziert. Die gemeißelten Efeublätter repräsentierten die chthonischen Metazauber,denn wie sein Volk entstammte das Efeu steinigem Boden und konnte bis in luftige Höhen klettern. Das Relief eines Schildkrötenpanzers sollte die Kampfgeschöpfe der Blauhäute darstellen.
    Die Friedensvereinbarung sah vor, dass man sich einmal im Jahr in der Höhle traf, um das Abkommen zu erneuern. Nicht alle Chthonen waren mit dem Vertrag einverstanden, einige wünschten sich leichteren Zugang ins Himmelbaumtal. Doch die meisten waren zufrieden, und die jährliche Erneuerung des Abkommens wurde feierlich begangen. Sogar der Bau einer Brücke aus dem Tunnel heraus war im Gespräch.
    Eine wachsende Zahl der Ältesten – die sich noch lebhaft an die Schrecken der Unterwelt erinnerten – plädierte indes dafür, Himmelbaum aufzugeben und den Tunnel zum Einsturz zu bringen. Nur so konnte man ihrer Meinung nach den Überfällen der Blauhäute ein für alle Mal ein Ende setzen.
    Ohne jede Vorwarnung wurde Nicodemus in blendend weißes Licht getaucht. Einen Moment lang war er wieder er selbst … doch dann nahm er eine neue Gestalt an.
    Er war nun ein alter Chthone und stand auf einer sonnigen Brücke inmitten eines fertiggestellten Starhavens. Viele Jahre waren verstrichen. Vor ihm spannte sich die Spindle-Brücke bis zu einer massiven Felswand. Dort konnte er die Muster des Efeus und der Schildkröten ausmachen.
    Der Tunnel hingegen war verschwunden. Die Brücke endete im nackten Fels. Er versuchte sich zu entsinnen, was wohl mit dem Tunnel geschehen war, dann befiel ihn Entsetzen. Unter seiner Tunika bewegte er seinen Paletten-Arm und richtete den Blick gen Westen. Über die Eichensavanne bewegten sich zwei rote Felder, jedes war eine Meile lang und breit.
    Die Helme und Speerspitzen glitzerten im Sonnenlicht. Es waren das fünfte und neunte Regiment der Neosolaren Legionen, die gekommen waren, um Starhaven zu belagern.
    Er zog die Palette enger an sich und verfluchte das Sonnenlicht. Jetzt war es so weit. In nur wenigen Tagen wären er und sein Volk ausgelöscht.
    »Nicodemus!«, ertönte es schwach. »Niiicooodeeemus!«
    Jäh kehrte Nicodemus in seinen eigenen Körper zurück, zurück in das kleine chthonische Gewölbe. Seine Hand schwebte über dem lebenden Kodex mit den Wrixlan-Geistern. Tulki war verschwunden, und als er sich umdrehte, sah er Licht auf die Stufen fallen. Es war bereits Morgen.
    »Niiicooodeeemus!« Wieder rief eine weibliche Stimme von ferne nach ihm. Sein Herz krampfte sich zusammen. Wie hatte sie ihn gefunden? Er hätte doch eigentlich verborgen sein sollen.
    Dann fiel ihm der Findesamen wieder ein. Bevor er die Ruinenstadt betreten hatte, musste der Same noch ein letztes Signal gesendet haben. Dort stand sie wohl und rief nach ihm.
    »Niiicooodeeeeeemus!«, rief sie erneut.
    Deidre!

Kapitel 36
    Nicodemus erwachte , als Deidre

Weitere Kostenlose Bücher