Nicodemus
hatte. »Stehen viele kaiserliche Nachkommen, die wie wir aussehen, in ihrem Dienst?«
»Ein paar«, antwortete Deidre und schob sich eine weitere Beere in den Mund. »Meine Familie dient ihr seit undenklichen Zeiten. In den Niederungen stehen meine Vetter in ihren Diensten. Aber du musst wissen, dass sie eine dralische Göttin ist und das Hochland nach wie vor von den Lorniern besetzt ist. Wir, die wir noch nach den alten Sitten und Bräuchen leben, müssen im Geheimen …«
Nicodemus unterbrach sie. »Bestimmt sie auch, wen ihr heiraten dürft?«
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Wir heiraten nie ohne ihren Segen.«
»Versucht sie einen Primus-Zauberschreiber zu zeugen?«
»Primus?«
»Vielleicht hat sie es auch Ursprache genannt. Habt Ihr davon schon gehört?«
Deirdre runzelte die Stirn.
»Nein, habt Ihr also nicht. Doch hat Eure Göttin gewusst, dass Taifon den Ozean überquert hat? Kämpft sie schon seit Längerem gegen ihn?«
»Worauf willst du hinaus, Nicodemus?«
Er senkte den Blick. »Nichts. Ich denke nur laut.«
Fellwroth hatte behauptet, dass die Gegner des Sprachkriegs – die Allianz göttlicher Ketzer – ihn auf der Stelle töten würden. Aber Nicodemus misstraute dem Dämon. Wenn die Allianz so verzweifelt nach einen Primus-Zauberschreiber suchte, dann wäre sie vielleicht auch bereit, ihm im Tausch für seine Dienste zu helfen, seine volle Stärke zu erlangen.
Deshalb hoffte Nicodemus, dass Deidres Göttin der Allianz angehörte. Und offensichtlich wünschte ihm Deidre nicht den Tod, sonst hätte sie ihm schon längst den Hals umgedreht.
Schwierig war nur, dass Deidre offenbar weder über Primus Bescheid wusste, noch darüber, ob ihre Göttin zur Allianz gehörte. Andererseits mochte sie auch mehr wissen, als sie vorgab. Nicodemus musste sie erst besser kennenlernen.
Auf einmal bekam die Brombeere in seinem Mund einen bitteren Beigeschmack. »Deidre«, sagte er leise, »Kyran ist tot.«
Sie schaute zur Seite. »Ich weiß.« Ihre Wangen glühten im spärlichen Kellerlicht und ließen sie unglaublich jung wirken.
Nicodemus knüpfte an die Worte an. »Er ist im Kampf gegen Fellwroth gestorben … er hat mir das Leben gerettet. Diesen Text hat er mir für Euch gegeben.« Nicodemus hielt ihr seine leere rechte Hand hin und zog sich mit der Linken Kyrans letzten Zauber aus der Brust.
Deidre blickte auf seine rechte Hand und wandte den Blick dann ab. »Lies ihn mir vor«, raunte sie.
Sein Herz setzte einen Schlag aus. »Mir wäre es lieber, wenn Ihr selbst …«
Wieder schaute sie auf seine rechte Hand und schüttelte den Kopf. »Bitte, lies mir den Text vor.«
Schweigen.
»Deidre«, sagte Nicodemus vorsichtig, »Ihr könnt nicht lesen.«
Sie sah ihn an, als hätte er sich urplötzlich in einen Frosch verwandelt. »Ich habe schon gelesen, da warst du noch Sternchen putzen.«
»Weltliche Sprache meine ich nicht, ich meine Zaubersprachen. Ihr könnt nicht einmal die einfachsten magischen Worte lesen. Ihr seid gar keine Druidin.«
Zunächst wollte sie ihm widersprechen, doch dann gab sie auf. »Wie hast du das herausgefunden?«, brachte sie schließlich hervor.
»Als ich Euch von Kyrans Botschaft erzählte, habt Ihr immer auf meine rechte Hand gestarrt.« Er deutete auf die fragliche Hand und hielt sie ihr hin, als wollte er ihr etwas geben.
Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Und?«
»Ich halte den Text in meiner linken Hand.«
»Es gab noch weitere Anzeichen«, fügte Nicodemus hinzu. »Ihr verwendet die falschen Ausdrücke. Ihr bezeichnet die Zaubersprüche und -texte mit Magie, kein Zauberschreiber würde je einen so allgemeinen Begriff dafür verwenden. Bei unserer Flucht aus Starhaven habt Ihr kein einziges Mal Eure Ärmel aufgeknöpft. Zwar habt Ihr behauptet, Eure Magie sei anderer Art, aber bei jeder Form des Zauberschreibens muss man auf seine Arme schauen. Und dann erst Euer Langschwert: Selbst ein kräftiger, hochgewachsener Zauberer würde beide Hände brauchen, nur um es hochzuheben. Ihr hingegen wirbelt es umher, als wäre es eine Feder.«
Deidre schloss die Augen und presste ihre schmale Hand gegen die Wange. »Nur die Druiden wurden ins Konzil berufen. Ohne eine Verkleidung wäre ich nicht nach Starhaven hineingelangt.«
Nicodemus hörte schweigend zu.
Sie blickte zur Treppe. Der Sonnenstrahl war die Stufen hinaufgeklettert. Seit Mittag waren ungefähr drei Stunden vergangen. »Ich bin Boanns Avatara. Weißt du, was das bedeutet?«
»Man hält es für
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