Nicodemus
Legionär?«
»Keines von beiden«, entgegnete Nicodemus.
»Dann werde ich auch nicht weiter in Euch dringen, warum dieses Wesen hinter Euch her ist. Ihr werdet mich schon beizeiten einweihen. Dennoch müsst Ihr mir verraten, wie es Eure Spur verfolgt.«
Mit der Hand fuhr sich Nicodemus über den Nacken. »Das Mal in meinem Nacken stammt von einem Fluch, es sendet deutliche Signale.«
Tulkis Lächeln kehrte zurück. »Dann können wir Euch helfen. An diesem Ort befindet sich unser mächtigster lebendiger Foliant. Sein Name lässt sich kaum in Eure Sprache übersetzen. Die Legionäre haben ihn ›Bestiarium‹ genannt. Ein großes Buch, das die Ruinen hier in einen Tarntext hüllt, der Euch bestimmt schon bei Eurer Ankunft aufgefallen ist. Zudem erfüllt das Bestiarium diesen Ort mit einem alten Metazauber, der verhindert, dass magische Schriften diese Ruhestätte verlassen. Die Signalzauber Eures Fluchs werden deshalb auch nicht hinausgelangen.«
Erleichtert atmete Nicodemus auf.
Tulki nickte eifrig, während er einen weiteren Absatz präsentierte. »Darüber hinaus wird sich jedes Geschöpf, dass nicht in Wrixlan verfasst ist, umgehend auflösen. Dem Golem würde es ähnlich ergehen, wenn er käme. Eure Nachtwesen haben bereits begriffen, wie gefährlich dieser Ort für Geschöpfe ist, deshalb haben sie sich sogleich in Eure Haut geschrieben.Zwar bestehen sie zum Teil aus Wrixlan, doch größtenteils sind sie in Pithan geschrieben. Pithan ist unsere Sprache, die wie Euer Magnus dazu in der Lage ist, die stoffliche Welt zu beeinflussen. Wenn Ihr unseren Spektralkodex auffrischt, seid Ihr uns in dieser Zufluchtsstätte herzlich willkommen.«
Nicodemus nickte. »Dann sind wir uns also einig.«
Der Geist strahlte. »Wundervoll. Wie darf ich Euch nennen?«
»Nicodemus Weal.«
»Nicodemus Weal, vielleicht mögt Ihr eine sehr lange Zeit bei uns verbringen. Wir haben Euch viel zu lehren. Wollt Ihr mehr über unser Volk erfahren?«
Als Nicodemus bejahte, warf sich der Geist stolz in die Brust. »Dann folgt mir, derweil werde ich Euch aufklären« , schrieb Tulki. Er begab sich auf allen Dreien tiefer in die Ruinenstadt hinein, hielt jedoch zum Schreiben kurz inne: »Ich beginne beim Himmelbaum, den es tatsächlich gibt, versteckt in den Bergen. Einst hat eine Brücke dorthin geführt, doch unsere Metazauber und die Geschöpfe der Blauhäute haben den Weg dorthin versperrt. Gegenwärtig kann kein menschliches Wesen ins Himmelbaumtal gelangen.«
Nicodemus fiel es schwer, gleichzeitig zu lesen und über die Gesteinsbrocken zu klettern. Der Chthone hingegen hatte keine Mühe, sich schreibend seinen Weg durch die Trümmer zu bahnen.
»Habt Ihr Euren linken Arm im Krieg gegen das Neosolare Reich verloren?«, fragte Nicodemus zaghaft.
Tulki richtete sich auf und sah ihn belustigt an. »Nein, nein« , schrieb der Geist. »Wir haben alle nur einen, wie Ihr es nennt, ‚Arm’. Das war tatsächlich einer der Hauptgründe für diesen Krieg.«
»Aber wie kann so etwas …«, Nicodemus verstummte.
Der Geist hatte sich die Tunika über der linken Schulter aufgeknöpft. Ein langes, aschfarbenes Körperglied kam zum Vorschein. Eine dünne Haut spannte sich wie eine Membran von der Schulter bis zum Handgelenk, an dem vier Finger baumelten. Die Finger waren ungefähr zwei bis drei Fuß lang, und zwischen ihnen befand sich die gleiche Hautmembran.
Hier hinein schrieb Tulki einen Satz und schickte ihn Nicodemus. »Unseren Begriff für diesen ›Arm‹ in Eure Sprache zu übersetzen ist schwer. Am nähesten kommt ihm Euer Wort für › Palette ‹ .«
Tulki schrieb weitere Absätze in seine Hautmembran. »Mehr Haut bot einem Wrixlanverfasser mehr Schreibfläche. Ihr Schwarzroben tragt Bücher mit noch mehr Texten mit Euch herum. Doch unser Körper ist unser Text. Vor langer Zeit haben unsere Vorfahren mit den Grünhäuten und Blauhäuten unter den Bergen gelebt. Dann haben sich mit dem ersten chthonischen Stamm unsere Dialekte herausgebildet. Damals hat uns unsere Göttin Chimära geholfen, unsere Körper so zu verändern, dass wir der brutalen Unterwelt der Blauhäute entkommen konnten.«
»Blauhäute?«
Es dauerte einen Moment, bis Tulki eine Antwort parat hatte. »Ihr nennt sie › Kobolde ‹ , und die Grünhäute sind Eure › Goblins ‹ . Auch sie beschreiben ihre Körper. Doch ihre Haut ist zäh wie Leder, ihr Dialekt derb. Sie brennen sich ihre Zeichen ein. Unser Dialekt hingegen erfordert Eleganz. Unsere
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