Nicodemus
er mit der klauenbewehrten Pfote zuschlagen, doch Nicodemus zog sich blitzschnell eine dolchartige Pithantätowierung von der Brust. Der indigoblaue Zauberdolch erleuchtete die schreckensgeweiteten Goldaugen des Kobolds. Nicodemus stieß ihm mit aller Kraft den Dolch in die Schulter und spürte, wie er Sehnen und Muskeln durchdrang. Der Kobold schrie auf und wuchtete Nicodemus mit wilden Schlägen von sich. Nicodemus schlug auf dem sandigen Untergrund auf, alles drehte sich.
Gebrüll erfüllte die Höhle. Nicodemus stemmte sich hoch und sah, wie der Kobold verzweifelt an seiner breiten Brust riss. An jeder Stelle, wo Nicodemus ihn berührt hatte, schwollen schwarze Geschwüre. Neben dem zu Tode erschrockenen Unhold lagen seine beiden Kameraden, die von Shannons Magnuszauber zwar mit Schnittwunden übersät, aber ansonsten unversehrt waren.
Nicodemus zog einen langen, tätowierten Kriegstext hervor. Die indigoblauen Sätze entfalteten sich zu einem breiten Schwert mit einer Schneide aus Zähnen, deren Zacken wie Flammen tänzelten.
Die Kobolde schwiegen still. Im Kampf hatte sich Nicodemus’Tarntext halb aufgelöst, so dass er nun von der Hüfte aufwärts zu sehen war. Er trat auf die Ungeheuer zu und schwang sein Schwert.
Da nahmen die Kobolde Hals über Kopf Reißaus.
»Auch Kobolde haben ihre Prophezeiungen«, stellte Boann fest, als wieder Ruhe eingekehrt war. »Euretwegen werden sie wiederkommen, Nicodemus. Und dann werde ich sie zu beschäftigen wissen.«
Doch sie kamen nicht wieder, weder in jener Nacht noch in einer der folgenden.
Drei Tage später, gegen Mittag, krochen die Gefährten aus einem Stollen hervor und erblickten zum ersten Mal das Himmelbaumtal.
Eingeschlossen von hohen Bergen war Himmelbaumtal mit seinen fünf Meilen im Durchmesser ein fast perfektes Rund. Mancherorts waren die Talhänge so steil wie Klippen. Und oben auf den langen überkragenden Terrassen grasten kleine Herden weißer Ziegen.
Auf der anderen Talseite stürzte ein schmaler Bach die Felswand hinunter, der hier und da Becken und kleine Wasserfälle ausbildete. Die umliegenden Felsen waren üppig mit Farn bewachsen. Der Bach mündete weiter unten in einen halbmondförmigen See im Norden des Tals.
Riesige Wurzeln – massiv wie die Türme in Starhaven – entstiegen dem dunklen Gewässer und erstreckten sich bis in die Mitte des Tals, dessen gesamtes Erdreich von diesen Wurzeln aufgeworfen und buckelig war. Durchs Tal selbst zogen sich Steinwälle, die einmal Land umfriedet hatten und jetzt verlassene Schattengärten umgaben.
Am Talrand sah man kleine Steinhäuschen, die sich zu Gehöften zusammendrängten, zum Talinneren hin wurden die Häuser größer und zahlreicher. Um den Stamm des Himmelbaums entdeckten die Gefährten sogar eine kleine verlassene Stadt mit winzigen Türmen.
Am beeindruckendsten war jedoch der Himmelbaum selbst.
Von der Wurzel bis zum obersten Blatt war er gut und gerne so groß wie die Türme in Starhaven. Aus dem massiven Stamm wuchsen sechs Seitentriebe, von denen ein jeder ein riesiges Blätterdach in der Größe einer Regenwolke trug. Abgesehen von den beiden obersten Trieben ragten die Zweige bis an die Felswände heran undruhten mit ihren Spitzen auf den Terrassen. Rings um sie her lagen verfallene Dörfer.
Über schmale Brücken waren die Dörfer mit den Zweigspitzen verbunden. Und entlang jedes kräftigen Triebs verlief ein Kopfsteinpflasterweg bis in den Stamm hinein.
Kalter Herbstwind pfiff über sie hinweg. Die Baumkrone wogte im Wind und tauchte das ganze Tal in ein flackerndes Wechselspiel aus Schatten und Licht.
»Nun, Nicodemus Weal«, sagte Boann. »Was meint Ihr, ob das wohl ein passables Zuhause für uns sein könnte?«
»Passables Zuhause?«, lachte er. »Das ist das Paradies.«
Sie wanderten bis zum nächsten Ast und entdeckten bei näherem Hinsehen, dass die in den Stamm geschlagenen Tunnel bis hinunter zum Talboden führten. Dort wimmelte es in den verwilderten Gärten nur so von Hasen, im See tummelten sich die Forellen. In der kleinen Stadt wählten sie sich ein robustes Haus zu ihrem neuen Heim.
Am nächsten Tag ging ein Gewitter über dem Tal nieder; der Bach schwoll an und füllte den See mit Wasser aus den Bergen. Noch Tage später perlten dicke Tropfen vom Himmelbaum.
Zumeist verbrachte Nicodemus den Vormittag mit Boann. Sie unterwies ihn in Geschichte, Theologie und Politik. Die Nachmittage waren Rechtschreibübungen mit Shannon vorbehalten. Nach
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