Nicodemus
defekt aus: »Verunglückter Schließzauber: unknackbar.« Die Hausmeister sahen keine Notwendigkeit, sie zu reparieren, dahinter lag nur eine Sitzstange für Wasserspeier, von der aus man die Nordmauern überblicken konnte.
In Wirklichkeit jedoch waren diese Tür und der dahinterliegende Vorsprung ein äußerst gut gehütetes Geheimnis der Söhne von Ejindu – einer politischen Verbindung, der Shannon einst angehörte.
Azure wackelte mit dem Kopf. Ihr gefiel der düstere, beklemmende Ort nicht.
»Noch einen Moment Geduld, mein Mädchen«, säuselte Shannon und fütterte das Türschloss mit einem Wust von leuchtenden Numinuspasswörtern. Mit metallenem Gequietsche sprang die Tür auf.
Vorsichtig trat Shannon auf den schmalen Vorsprung hinaus und nahm die farbenprächtige Landschaft in sich auf. Zu seiner Linken dehnte sich die grasbewachsene Küstenebene weit ins Land hinein. Vor ihm erstreckten sich die westlichen Ausläufer des Pinnacle-Gebirges bis zum Horizont. Das Grün des Bergwaldes, der die steilen Hänge bedeckte, wurde nur hin und wieder von den roten oder goldenen Wipfeln der Pappeln durchbrochen.
Er konnte das kahle Astwerk mehrerer toter Bäume ausmachen. Dabei kamen ihm wieder Deidres Worte über das Stumme Sterben und die sterbenden Bäume im gesamten Land in den Sinn.
Ein frischer Wind zerrte an Shannons Gewand, und Azure musste mit den Flügeln schlagen, um ihr Gleichgewicht zu halten.
Der Vorsprung selbst war nicht viel mehr als eine graue, von Zinnen geschützte Steinplatte. Rechts neben der Tür, verborgen in einerMauernische, schlief ein augenloser Wasserspeier mit Fledermausgesicht und dem pummeligen Körper eines Kleinkindes. Shannon rüttelte ihn an der Schulter.
Der Zauber fuhr erschreckt auf. »Mein Vater hat keine Ohren«, krächzte er. »Mein Vater hat mir das Hören beigebrachte. Mein Vater hat keine Augen, er hat mir das Sehen beigebracht. Er ist in Rindsleder gekleidet.«
»Geschöpf, dein Vater ist ein Zauberbuch«, sagte Shannon und beantwortete damit das Rätsel, das ihm Zugang gewährte. »Und der Vater meines Wissens ist der Kodex von Ejindu. Mein Name ist Agwu Shannon.«
Der Wasserspeier griff unter seine Füße und holte aus einer Mauervertiefung seine weißen Marmoraugen; dort hatte er sie versteckt, denn sonst würden sie ihm wohl von anderen gewichtigeren Wasserspeiern im Schlaf gestohlen.
Nachdem er sich die Marmorkugeln in die Augenhöhlen gesteckt hatte, musterte er Shannon. »Ich habe aus dem letzten Colaboris-Zauber eine Nachricht für Euch herausgefiltert.« Das Geschöpf zog ein leuchtend goldenes Rechteck aus seinem Bauch.
Shannon nahm es entgegen. Wie geschliffenes Glas fühlten sich die Numinusrunen in seinen Händen an. Er übersetzte:
Die Söhne von Ejindu grüßen ihren Bruder im Exil. Wir fürchteten schon, er hätte uns im Stich gelassen. Seit dem Angriff auf Trillion und der wütenden Feuersbrunst herrscht in Astrophell das Chaos.
Wir danken unserem Bruder für seine Informationen, können jedoch nicht sagen, ob die Ereignisse in Starhaven mit der Prophezeiung des Erasmus verbunden sind. Es erscheint uns unwahrscheinlich, dass Nicodemus Weal der Halykon ist. Dennoch stehen wir unserem Bruder mit Rat und Tat zur Seite.
Antwort : Uns ist keine Verbindung bekannt, die unserem Bruder und seinen Schülern schaden will.
Antwort : Wir wissen sehr wenig über Mg. Amadi Okeke, außer, dass sie heimlich den Prophezeiungsgegnern Treue geschworen hat.
Antwort : Für die öffentliche Versicherung unseres Bruders, uns zu unterstützen,werden wir ihm die uneingeschränkte Nutzung unserer Geschöpfe in Starhaven gewähren, jedoch sind wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit, das Leben unserer wenigen Starhavener Zauberschreiber für seine Sache aufs Spiel zu setzen.
Wir hoffen, unsere großzügige Unterstützung bewegt unseren Bruder dazu, sich den Söhnen im Kampf um einen friedlich vereinten Numinusorden wieder anzuschließen.
Shannon stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Antwort auf seine Nachricht, die er am Morgen losgeschickt hatte, war besser ausgefallen, als erwartet. Beim Zerreißen der Sätze dachte er über ihren Inhalt nach.
Die Söhne waren immer bestens über die politischen Machenschaften in Astrophell informiert. Wenn sie von keiner Verschwörung gegen ihn wussten, gab es mit Sicherheit auch keine. Dass sie zudem noch völlig ahnungslos waren, wer Nora Finn bestochen und ermordet haben könnte, überzeugte
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