Nicodemus
Shannon davon, dass das Wesen, dessen Bekanntschaft er gemacht hatte, in keiner Verbindung zur Akademie stand.
Amadis Bund mit den Prophezeiungsgegnern beunruhigte ihn weitaus mehr. Zwar war es den Wächtern untersagt, sich in die politischen Aktivitäten der Zauberer zu mischen, doch hielt das viele nicht davon ab, klammheimlich die Interessen einer bestimmten Gruppe voranzutreiben.
Darüber hinaus erklärte das auch, warum der Provost – ein Anhänger der Prophezeiungsgegner – Amadi mit der Untersuchung beauftragt hatte. Es erklärte ferner ihr Interesse an Nicodemus’ Mal, das wie eine Inkonjunktrune geformt war, als auch ihre Frage, was denn der Provost dazu gesagt hätte. Zudem hatte Amadi den Jungen ausgehorcht, ob ihm aufgefallen sei, dass er die Ordnung der Dinge störe. Also musste sie vermuten, dass Nicodemus nicht der Halkyon, sondern der Unglücksbote war – ein Zerstörer, der laut der Gegenprophezeiung, dem Halkyon entgegengesetzt war.
»Magister, wie lautet Eure Antwort?«, krähte der fledermausgesichtige Wasserspeier.
Shannon fuhr zusammen, das Angebot der Söhne von Ejindu, ihn zu unterstützen, hatte er vollkommen vergessen. »Geschöpf, hast du die Nachricht gelesen?«
Der Zauber zog die Nase kraus. »Das habe ich, so wie es mein Verfasser beabsichtigt hat.«
»Ich mache dir ja keine Vorwürfe, Wasserspeier, ich brauche bloß ein paar Antworten. Wie viele Geschöpfe stehen im Dienst der Söhne? Kontrollieren sie immer noch das Compluvium?«
Der Wasserspeier strich sich sich mit seiner speckigen Hand über die langen Fledermausohren. »Über diesen Teil der Dächer haben wir immer noch die Kontrolle. Und ebenso über zwei lornische und fünf spirische Türme. Wir zählen fünfundvierzig leicht- und mittelgewichtige Wasserspeier, zwölf kriegsgewichtige Tiere, davon sind nur zwei mit Schnelligkeit ausgestattet. Hinzu kommen noch drei Schutzzauber.«
Gedankenverloren kraulte Shannon seinem Vogel den Nacken und dachte nach. »Ich bräuchte die beiden schnellen Kampfwasserspeier, sie sollen Posten im Compluvium beziehen. Außerdem muss eine ausreichende Anzahl an mittelgewichtigen Wasserspeiern bereit stehen, um die Narrenleiter zu betätigen.«
Nun strich sich der fledermausgesichtige Wasserspeier über das andere Ohr. »Zu welchem Zweck?«
»Vielleicht brauche ich die Kämpfer, um neun junge Kakographen zu beschützen und eventuell auch zu evakuieren.«
Der Wasserpeier blinzelte ihn erstaunt an. »Ihr Wert?«
»Es sind Jungen aus Fleisch und Blut«, schnauzte Shannon.
Das fledermausgesichtige Ding zuckte mit den Achseln. »Die Kämpfer können sofort bearbeitet werden, aber die Narrenleiter ist erst in drei Stunden fertig.«
Shannon holte tief Luft. Es wäre besser, wenn die Söhne eines ihrer Mitglieder verpflichtet hätten. So mächtig schnelle Kampfwasserspeier auch sein mochten, ein Ersatz für lebendige Zauberschreiber waren sie nicht. Schlimmer noch war die Gegenleistung. Ein öffentliches Bekenntnis für die Söhne von Ejindu würde seine politische Neutralität ein für alle Mal beenden. In Zukunft müsste er sich jederSache verpflichten, die die Brüderschaft für gut befand. Ein weiteres Mal wäre er ein Spielstein auf einem blutigen Brett.
Langsam atmete er aus und dachte dabei an Nicodemus. Unvermittelt wurden Erinnerungen an seine lang verstorbene Frau in ihm wach, und er sah ihre dunklen Augen vor sich …
»Ich gelobe den Söhnen von Ejindu meine Treue«, verkündete Shannon, während er eine öffentliche Erklärung in Numinus formte.
Das Geschöpf kam mühsam auf seine Kinderfüße, um die Erklärung ganz formell und mit einer Verbeugung entgegenzunehmen.
»Eine Sache noch«, sagte der Zaubermeister und zog einen länglichen, in Stoffe gewickelten Gegenstand hervor, »kennst du ein Wesen oder ein Geschöpf, das im Leben aus Fleisch besteht und danach in so etwas zerfällt?« Er zog den Stoff weg.
Stirnrunzelnd und ausgiebig betrachtete der Wasserspeier den abgetrennten Tonarm. »Nein, Magister.«
Shannon grunzte. »Ich danke dir. Du hast mir gute Dienste erwiesen. Träume sanft.« Er verneigte sich.
Unbeholfen erwiderte der Wasserspeier die Verbeugung, bevor er sich wieder die Augen herausnahm und es sich auf dem Dach zum Schlafen bequem machte.
Shannon ging zurück in den Turm. Zwar hatte er immer noch nicht mehr darüber herausgefunden wer oder was hinter dem Mörder steckte, aber zumindest hatte er Vorkehrungen getroffen, um seinem nächsten Angriff
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