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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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zuvorzukommen.
     
    Das Wesen verschwand im Espendickicht, und seine Gedanken kreisten um Mord. Es schimpfte auf Shannons Unfähigkeit, eine Abwehr auf die Beine zu stellen. In Starhaven wartete bereits eine greuliche Überraschung auf den alten Esel, und schon sehr bald würde es ihm noch ein weiteres Leben entreißen.
    Es fragte sich, warum der Tor sich nicht regte. Sicher, die Untersuchung des Mordes würde Shannon davon abhalten, die Wächter zu alarmieren. Und gewiss hatte der alte Kauz angenommen, er hätte durch den abgeschlagenen Arm Zeit gewonnen.
    Bei der Erinnerung an die silbernen Worte, die ihm Sehnen undKnochen durchschnitten hatten, spannte das Wesen unwillkürlich seine neue Hand an. Vielleicht würde es beim nächsten Mal Shannons Arm abreißen, nur um zu sehen, ob er nachwachsen würde.
    Seine Aufgabe hier in Starhaven war zwar stumpfsinnig, aber von größter Wichtigkeit. Und auch wenn es sich darauf freute, Shannon zu töten, sehnte er sich dennoch danach, seine geistigen Kräfte mit den Menschen zu messen. Eines Tages könnte sein Überleben davon abhängen, diese Bestien zu verstehen.
    Das Wesen stand inmitten weißer Pappeln. Die kühlen Herbstnächte hatten die Blätter schon goldgelb gefärbt. Hoch über dem leuchtend gelben Baldachin erstreckte sich ein wolkenloser, blauer Himmel, unterbrochen nur von den dunklen Starhavener Türmen, die in ihrer Verschiedenheit wie zufällig nebeneinander zu stehen schienen.
    Das Wesen richtete seine Roben und hielt einen Moment lang inne, um über die antike Stadt zu sinnieren. Ganz gleich wie sehr die unterschiedlichen Herrscher die Türme herausgeputzt haben mochten, die Steine unter all dem Tand waren immer noch die der Chthonen. Ihre filigranen Brücken, die sich von Turm zu Turm spannten, und die gewundenen Wände zeugten noch immer von den fließenden Eigenschaften der Steine. Wie es die Menschen fertiggebracht hatten, die Chthonen auszurotten, überstieg sein Vorstellungsvermögen.
    Tatsächlich war ihm die menschliche Natur an sich ein Rätsel. In Gruppen gab sich dieses merkwürdige Biest mit Freuden dem Aufstellen von Gesetzen, Grammatiken und Glaubensgrundsätzen hin. Und dennoch war das Wesen bislang noch keinem Menschen begegnet, der nicht tagtäglich eine Sünde, ein Verbrechen oder beides zugleich beging. Viel schlimmer war die Art und Weise, wie sie sprachen und schrieben: schlampig und willkürlich. Sie verletzten ständig die Regeln ihrer eigenen Grammatik und konnten sich dennoch verständigen.
    Mitunter wunderte sich das Wesen, dass es ihm überhaupt gelungen war, die menschliche Kommunikation zu erlernen. Sein ehemaliger Meister hatte ihm nämlich kaum Kontakt mit diesen merkwürdigen Biestern erlaubt.
    Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er die Menschen eingehender beobachtete. Einen Wasserspeier hoch oben im Erasmusturm hatte es bereits so bearbeitet, dass dieser für ihn die Colaboris-Zauber überwachte. Möglicherweise könnte es sich als nützlich erweisen weitere Wasserspeier zu korrumpieren. Das Wesen spielte mit dem Gedanken, selbst einen kleinen rattenähnlichen Wasserspeier mit verbessertem Gehör zu schreiben. Solch ein Geschöpf könnte Informationen über die Menschen sammeln.
    Der Schrei eines Buschhähers lenkte seinen Blick wieder auf den Wald. Zwanzig Fuß entfernt lag eine Lichtung, auf der sich die jungen Zauberer trafen, um gestohlenen Wein zu trinken oder sich im Gras auszustrecken.
    Das Wesen begab sich bis zum äußersten Waldrand, seine weiße Robe glich der hellen Espenrinde. Vor ihm lag eine kleine Lichtung mit kniehohem Gras.
    Auf der Lauer liegend dachte das Wesen an Shannon. Der Zauberer war eine Enttäuschung gewesen; der nächste Schlag würde dem alten Mann wohl den Garaus machen.
    Das Wesen hatte keine Veranlassung, nach Trillinon zurückzukehren, nun da der Drachen losgeflogen war. Die anderen Dämonenanhänger hatten ihre Befehle. Das ließ ihm genügend Zeit, den Jungen zu finden und den Smaragd aufzufüllen – diese Aufgabe war so wichtig, dass er sie vor den anderen geheim hielt. Gerne hätte das Wesen sich einer größeren Herausforderung gestellt, doch den Kakographen zu verlieren, konnte es nicht riskieren.
    Etwas entfernt im Norden knackte ein Zweig. Ein kleiner Mensch in schwarzem Gewand bewegte sich zwischen den Bäumen. Sein Plan war aufgegangen, die jungen Menschen ließen sich so leicht von Träumen beeinflussen.
    Doch womöglich war dies nicht der gesuchte Junge. Vielleicht würde es

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