Nicodemus
lieber Sand, als diesem Gelehrtengewäsch zuzuhören.« Missbilligend zog sie die Nase kraus. »Noch ein Grund mehr, warum wir als Analphabeten besser dran wären.«
»Es tut mir leid, Dev, ich wollte dich nicht … Sei doch nicht so unzufrieden. Selbst wenn man dich für immer zensieren würde, wärst du noch lange nicht frei. Du hast mir doch selbst erklärt, dass Analphabeten ihrem Land oder ihrem Gewerbe verpflichtet sind. Sie müssen dort auf den Feldern eines Lords, Barons oder von sonst jemandem arbeiten.«
Sie zuckte bloß mit den Achseln und wandte sich wieder ihrem Eintopf zu. »Schlimmer als hier kann das auch nicht sein.«
Nicodemus lehnte sich vor. »Dev, du hättest keine Zaubersprüche, um dir das Gesicht und die Zähne zu waschen. Keine Geschöpfe, die dir den Nachttopf leeren. Und dein Leben wäre kurz.«
Schlagartig loderte das alte Feuer in ihren braunen Augen. »Sch –« Wieder hielt sie nur mit Mühe ihre Obszönitäten zurück. »Ist mir doch piepegal! Nicht alle sind so stark wie du, Nico. Ich werde kaum ein Jahrhundert erleben. Und ich bin schon fünfzig. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber so ist es. Wenn ich Analphabetin wäre, würde ich wenigstens meine Familie nicht überleben.«
Gerade wollte Nicodemus ihr widersprechen, hielt sich dann aber zurück. »Würdest du gerne heiraten?«
»Darauf geb ich einen feuchten Eselsfurz«, keifte sie. »Ich will verdammt noch mal nicht heiraten.« Mit zitternden Händen rührte sie in ihrem Eintopf.
Nicodemus wusste darauf nichts zu erwidern und so schwieg er, bis sie sich wieder besänftigt hatte.
»Dev«, sagte er endlich, »gestern Abend habe ich dich gefragt, was Smallwood wohl gemeint haben könnte, als er mich Shannons neuen Lieblingskakographen genannt hat.«
»Vergiss es. Es ist nichts.« Sie machte ein finsteres Gesicht. »Obgleich es meine Ansicht über das Analphabetentum bestärkt.«
Nicodemus berührte sie leicht am Ellenbogen. »Erzählst du es mir? Bitte?«
Devin sah ihn an. »Es ist bloßes Gerede.«
Er nickte.
Nachdem sie ihren Löffel abgelegt hatte, rutschte sie verschwörerisch ein wenig näher heran. »Also, vor Jahren war der Magister ein aufgehender Stern am Astropheller Himmel, sowohl in der Forschung als auch in der Politik. Zudem war er eine Kuriosität, denn sein Vater kam aus Dral und seine Mutter aus Trillion. Deshalb klingen seine Namen auch so verschieden – Agwu Shannon. Jedenfalls wollte seine Verbindung, die Söhne von Ejindu, verhindern, dass sich irgendwelche skrupellosen Zauberschreiber in den Spirischen Bürgerkrieg einmischen. Shannon war der Sprecher ihres Hohen Rats. Und …« Devin senkte die Stimme. »Und er hat die Großnichte des Provost geschwängert!«
Nicodemus sah sie zweifelnd an. »Aber Zauberschreiber können keine Kinder bekommen. Wir sind doch alle steril.«
Devin lächelte ihn an. »Nico, manchmal vergesse ich, wie jung du noch bist. Das machen wir die Akolythen glauben. Untereinander sind wir steril. Zwei Zauberschreiber können kein gemeinsames Kind zeugen. Aber hin und wieder kommt es vor, dass ein Zauberschreiber und eine Analphabetin ein Kind hervorbringen.«
»Shannon hat eine Analphabetin geschwängert!«
»Schhhh!« Sie schlug ihm auf die Schulter. »Nicht so laut. Nun verstehst du auch, warum wir uns von unseren Familien lossagen. Wir würden sie überleben und müssten ihren Tod mit ansehen. Deshalb war es ja auch so ein Riesenskandal, dass die Großnichte vom Provost ein Kind von Shannon erwartete.«
Nicodemus konnte nur mit dem Kopf schütteln.
Devin fuhr mit ihrer Geschichte fort: »Shannon hat also versucht, das Baby zu verstecken, doch seine Feinde haben den Jungen entdeckt und einen Skandal provoziert. Der Provost war außer sich vor Wut und hat Shannon zum Hausvater des Drum Towers in Starhaven gemacht. Um ihn los zu sein, weißt du.«
»Und dann?«
»Das weiß keiner so genau. Manche sagen, der Magister hätte sich verzweifelt auf seine Forschung gestürzt, in der Hoffnung, durch irgendwelche bahnbrechenden Erfolge Vergebung zu erlangen. Es heißt, einer seiner Forschungszauber hätte ihm das Augenlicht geraubt. Aber was auch geschehen sein mag, der Magister ist hier in Starhaven gelandet. Über zwanzig Jahre lang durfte er Astrophell nicht besuchen. Seine Frau war inzwischen schon gestorben und sein Sohn verheiratet. Shannon hat versucht, alles wieder ins Lot zu bringen, doch offenbar hat sein Sohn ihn dafür gehasst, dass er die Familie im Stich
Weitere Kostenlose Bücher