Nie genug (German Edition)
sehe nicht in den Rückspiegel und ich schaffe es tatsächlich, die Tränen zurückzuhalten, bis ich zuhause angekommen bin.
18.
Der Telefon- und Klingelterror beginnt noch am gleichen Abend und hält für genau einen Tag an. Er stoppt abrupt, als ich schließlich Nadine reinlasse, die sofort auf mich losgeht.
„Ich bin so sauer auf dich. Was denkst du dir eigentlich?“ Sie stürmt an mir vorbei und setzt sich mit verschränkten Armen an meinen Küchentisch.
„Wenn du mich nur anbrüllen willst, dann geh bitte wieder.“ Ich hole zwei kleine Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und stelle eine davon vor ihr ab, bevor ich mich ihr gegenüber hinsetze. Mein Schädel dröhnt von dem Heulfest der letzten Nacht, und ich bin wirklich nicht in der Stimmung, mich beschimpfen zu lassen.
„Emma, was ist los mit dir? Sam saß gestern auf unserer Couch und hat erst mal über eine Stunde nichts gesagt, bevor er uns überhaupt erklären konnte, was passiert ist. Er ist fassungslos.“
„Ich kann nicht drüber reden.“
„Du kannst nicht drüber reden? Das ist wirklich fair. Ich dachte, wir wären Freundinnen.“
„Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und vor ein paar Wochen wieder getroffen. Das kann man kaum als Freundschaft bezeichnen.“ Ich bin einfach nur müde und möchte wieder ins Bett.
„Das mag bei Sam funktioniert haben, aber mich vertreibst du damit nicht. Du kannst mich anzicken, soviel du willst, aber ich gehe nicht weg. Du darfst nur eines nicht vergessen: Sam ist auch mein Freund, und ich mag es überhaupt nicht, wenn man meinen Freunden wehtut. Emma, ich weiß gerade überhaupt nicht, wo ich hinsehen soll, denn irgendjemand hat anscheinend auch dir wehgetan. Allerdings war das nicht Sam.“ Nadine sieht aus, als wollte sie sich jeden Moment ein paar Haarsträhnen ausreißen.
„Darum geht es nicht. Ich will es einfach nicht zu eng werden lassen, um dann dabei zuzusehen, wie Sam eine Frau findet, die wirklich zu ihm passt.“
Ich zucke erschrocken zusammen, als Nadine energisch auf den Tisch haut. Meinem Kopf tut der Krach gar nicht gut.
„Emma, er liebt dich. Wie eng kann es noch werden? Ich würde dich mal kräftig durchschütteln, wenn ich wüsste, dass es hilft.“
„Es tut mir leid, dass ich nicht so funktioniere, wie du es dir vorstellst.“ Ich wische mir ein paar verirrte Tränen aus den Augenwinkeln. Wenn der Hahn einmal aufgedreht ist, kann ich ihn so schnell nicht mehr schließen. Nadine kommt um den Tisch herum und zieht mich vom Stuhl hoch, direkt in ihre Arme. Diese kleine Geste öffnet mit voller Wucht alle Schleusen und ich fange so heftig an zu schluchzen, dass ich Mühe habe, Luft zu holen. Nadine sagt nichts und reibt mir einfach nur über den Rücken, bis ich mich halbwegs wieder gefangen habe. Sie zieht ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und wischt mir sogar die Tränen ab.
„Ich kann das auch alleine“, sage ich zittrig lachend, und nehme ihr das Tuch ab. Mein Versuch, die Nase zu schnauben, wird immer wieder von aufsteigenden Schluchzern unterbrochen. Nadine schiebt mich ins Wohnzimmer und verfrachtet mich auf die Couch, bevor sie wieder in der Küche verschwindet. Nach einem Moment kommt sie mit einem übervollen Glas Rotwein wieder und stellt es vor mir ab.
„Austrinken. Komplett!“, fordert sie. „Und dann erzählst du mir, was wirklich passiert ist.“
Ich verziehe angeekelt das Gesicht, füge mich dann aber. Der Alkohol brennt in meiner wund geheulten Kehle, wärmt und beruhigt mich aber schnell von innen. Nadine setzt sich mir gegenüber, nickt zufrieden und kramt dann ihr Handy aus der Handtasche.
„Ich schicke nur schnell eine Nachricht an Markus, damit er weiß, dass du noch lebst. Er macht sich nämlich auch Sorgen um dich, weißt du.“ Sie tippt eifrig und sieht nicht, dass bei mir schon die nächste Tränenrunde startet.
„Wann hast du das letzte Mal gegessen?“ Nadine schaut mich an und sieht, dass ich schon wieder heule. Ohne darauf einzugehen, wirft sie mir einfach eine ganze Packung Taschentücher hin.
„Gestern Mittag“, krächze ich.
„Pizza?“, fragt sie und greift schon wieder zu ihrem Telefon.
„Ich hab keinen Appetit.“
„Okay, Madame“, ruft sie unnötig laut. „Ich bin deine Freundin, ob es dir gefällt oder nicht. Aber mit Selbstmitleid kommst du bei mir nicht durch. Wir beide werden gleich zusammen essen. Dabei kannst du mir erzählen, was das eigentliche Problem ist. Und dann wäre ich dir sehr dankbar,
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