Nie genug (German Edition)
wenn du duschen gehst. Du stinkst nämlich, als hättest du seit Tagen kein Wasser gesehen.“
„Sehr charmant“, erwidere ich, und nehme dann doch dezent eine Nase, um festzustellen, dass sie recht hat.
Eine Stunde und zwei Stücke Pizza später bin ich so entspannt und ausgelaugt, dass ich im Sitzen einschlafen könnte. Beim Essen habe ich Nadine erzählt, was auf der Halloweenparty vorgefallen ist, nur um festzustellen, dass sie, und somit auch Sam, darüber Bescheid weiß. Scheinbar hat Nina Sam sofort erzählt, was passiert ist, und sich vielmals für ihre Freundin entschuldigt.
„Was soll ich tun, Nadine? Es wird immer so sein, dass ich neben Sam nur das kleine, graue und moppelige Mäuschen bin.“
Nadine seufzt angestrengt.
„Sam scheint das nicht so zu sehen. Ich tue das übrigens auch nicht, Emma.“
„Das sagst du doch nur, weil du meine Freundin bist.“ Ich stopfe mir eine Ladung vollgerotzter Taschentücher in die Seitentaschen meiner ausgebeulten Jogginghose.
„Unsinn, Emma. Ich würde es heute noch mit dir machen.“ Nadine zuckt teilnahmslos mit den Schultern, muss dann aber doch grinsen.
„Du bist blöd.“ Jetzt muss ich auch lachen.
„Nichts für ungut, Süße. Aber blöd bist nur du. Dafür, dass du so jemanden wie Sam einfach gehen lässt.“
„Vielleicht bin ich das. Aber ich bin nicht gut für ihn, solange ich nicht mit mir selbst klarkomme. Soviel ist mir in den letzten Stunden dann doch bewusst geworden.“
„Willst du ihn?“ Nadine steht auf und lässt sich einfach auf meinen Schoß plumpsen. Mit einer Mischung aus Irritation und Verwunderung sehe ich zu ihr, während sie wie selbstverständlich ihre Arme um meine Schultern legt.
„Natürlich will ich ihn. Ich meine, sieh ihn dir an.“
„Liebst du ihn?“
„Ich kann nicht …“ Schon wieder fange ich an zu heulen.
„Schon okay, Süße. Die Antwort ist offensichtlich.“
Nadine verpasst mir noch ein Glas Wein, damit ich meine Nerven etwas beruhige, verbietet mir aber weitere für heute. In ihren Augen würde das mein Selbstmitleid nur verstärken, und sie möchte keine Freundin mit einem Alkoholproblem. Sie verabschiedet sich für die Nacht und lässt mich mit meinen Gedanken allein. Natürlich bin ich jetzt nicht mehr müde. Nach einer ausgiebigen Dusche nehme ich meinen Laptop mit ins Wohnzimmer und richte mich auf eine lange Schreibnacht ein. Es hat wohl sein Gutes, dass ich gerade an einem sehr emotionalen Punkt in meiner Story bin, denn die Worte fließen nur so aus mir heraus.
Erst in der Morgendämmerung wird mir bewusst, wie lange ich schon schreibe und demzufolge unbewegt auf der Stelle sitze. Ich strecke meine Beine aus, die sich schon seit geraumer Zeit im Schneidersitz befinden und öffne dabei mein Mail-Postfach. Während ich darauf warte, dass die neuen Mails geladen werden, speichere ich meine Arbeit der Nacht ab. Es sieht wohl so aus, als könnte ich morgen die erste Rohfassung ausdrucken und mich an die Korrektur machen. Es fehlen nur noch die Schlussworte des letzten Kapitels, die ich mich einfach weigere, gehetzt zu schreiben, nur damit ich den Roman abschließen kann.
Zu so früher Stunde findet genau eine Mail den Weg in mein Postfach. Sogar von Werbung bin ich den letzten Stunden verschont geblieben. Es ist eine Mail von Sam.
Von: Samuel Wagner
An: Emma Lennartz
Cc:
Betreff: Kein Thema
Du hast ein Karpaltunnelsyndrom in der rechten Hand. Woher ich das weiß? Weil dir die Hand in der Nacht einschläft und du jeden Morgen, ehe du überhaupt die Augen aufmachst, versuchst, wieder Gefühl in deine Finger zu bekommen. Sieh in deinen Briefkasten.
Es dauert einen Moment, bis ich wieder vollständige Kontrolle über meine Beine habe, damit ich mich bewegen kann. Mein Herz schlägt mir fast bis zum Hals, und für einen kurzen Moment habe ich die Hoffnung, Sam könnte noch vor meiner Haustür stehen. In meinem Briefkasten steckt ein rechteckiges Päckchen, das in silberne Folie gewickelt und mit einer roten Schleife verziert ist. Ich sehe mich auf der menschenleeren Straße um, kann jedoch niemanden mehr entdecken. Vielleicht hat er es auch schon vor Stunden eingeworfen. Ich habe nicht auf die Uhrzeit in der Mail geachtet.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer öffne ich die kleine Schachtel und finde darin
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