Nie mehr Nacht (German Edition)
Hosenbein hinkte Kevin hinaus.
»Hilfe, ich hab ein Holzbein! Hilfe, wie ist das passiert?«, rief er unter dem angeödeten Stöhnen seines Sohnes. Noah war jetzt elf und wirkte wie die Miniaturausgabe seines Vaters, ein kleiner, griesgrämiger, alles besser wissender Brennicke. Noch mit sechzehn war Kevin genauso gewesen.
»Meine Herren!«, seufzte mein Vater, als die vier draußen waren. »So langsam begreif ich, wieso du für den nicht mehr arbeiten wolltest. Was für ein Mundwerk. Das reinste MG .«
»Komm. Lass uns vorm Eingang warten, bestimmt sind sie gleich da«, sagte ich. »Draußen ist so schönes Licht.«
Auf dem Weg zum Ausgang kamen wir noch einmal durch die D-Day-Ausstellung. Ich merkte meinem Vater an, dass er nach Haus wollte, und weil auch ich ausgelaugt war vom Smalltalk mit Saskia, die von ihrer jungen Mitbewohnerin schwärmte, und mit Jesses Ex-Pflegemutter Karen Lewandowski, eilten wir durch die Räume und Stellwandkorridore, wo immer noch Leute vor den Bildern und Schaukästen standen, ohne dass wir die Fotos und anderen Exponate länger betrachteten.
»Die Nächste ruft dich«, sagte mein Vater, und da hörte auch ich eine Frauenstimme laut meinen Namen sagen, so lange, bis ich stehen blieb und mich umdrehte.
Juhls lösten sich aus einer kleinen Besuchergruppe vor einer Landkarte vom Bessin und kamen auf uns zu. Ich begrüßte sie, stellte meinem Vater Ove vor, den er nur vom Hörensagen kannte, und spürte dabei Maybritts Blicke. Ove Juhl erkundigte sich nach den Wacholderdrosseln im Garten meiner Eltern, woraufhin mein Vater sichtlich verblüfft überlegte, woher dieser Fremde mit dem Waldschratbart von dem Pärchen wusste. Dann aber fasste er Vertrauen zu Ove und begann zu erzählen.
Seit meiner Rückkehr hatte ich Maybritt mehrfach gesehen. Wir waren essen gewesen, nur sie und ich, und hatten die Veröffentlichung ihrer Emily Dickinson-Übersetzungen in einem kleinen dänischen Verlag gefeiert. Aber ich hatte Juhls auch ein paarmal in Teufelsbrück besucht. Mit Margo, Niels und Carlo waren wir im Jenischpark spazieren gegangen, dort hatte ich ihr von meinen Frankreichplänen erzählt. Hin und wieder rief mich Maybritt an, dann tauschten wir uns aus, aber nie lang, weil es Cat nicht einsah, dass ich mit ihrer Mutter redete anstatt mit ihr.
Britta sagte, sie vermisse Zeichnungen von mir. Immer stelle sie sich vor, wie meine Brücken wohl ausgesehen hätten. Eigentlich wollte sie gar nicht hier reingehen, sondern nur drüben im Kunstforum in die Impressionisten-Ausstellung. So viele Monets, welche Pracht! Sie war ganz selig und glühte immer noch. Ich sah es an ihren Sommersprossen. Tausend Tüpfel schienen auf ihrem Gesicht zu tanzen.
Jetzt spürte ich Oves Blicke. Mit meinem Vater stand er vor einem grobkörnigen, schaufenstergroßen Schwarzweißfoto, das britische Fallschirmjäger vor einem Horsa-Segler zeigte. Auch dessen Crew hatte der Fotograf abgelichtet, lauter junge Männer an einem Frühsommertag 1944. Jeder einzelne konnte McCoy Lee sein. Anscheinend hatte mein Vater seine Müdigkeit niedergerungen. Gestenreich erläuterte er die Funktionsweise des Holzgleiters, und Ove nickte mir quer durch den Gang vielsagend zu.
Ich fragte Maybritt, ob sie schon Pläne für die nächste Vogelreise hatten, und da lachte sie so schön, dass es wehtat.
»Du meinst, ob wir wieder ins L’Angleterre gehen? Vielleicht zur Silbernen Hochzeit. Vor ein paar Tagen rief Flaubert zurück. Das Hotel ist verkauft, alles wird neu gemacht. Und stell dir vor, Didier hat sich einen Trawler gekauft! Du guckst mich an und hast diesen Annik-Blick. Wir haben nichts von ihr gehört.« Sie winkte. »Da ist sie. Spatz, guck, hier ist er doch!«
Catinka zog mich am Sakkoärmel hinüber zu den Brückenzeichnungen. Lange standen wir schweigend vor den vier großkopierten Bildern und sahen uns an, wie Xu die Pegasusbrücke, die alte Steinbrücke am Gui, die Ruine des Eisenbahnviadukts von Souleuvre und das Panorama mit den Brücken über die Douve gezeichnet hatte. Cat erkannte den Gui wieder, sie erinnerte sich an die grünen Messerfische in dem Flüsschen und an das fremde Mädchen mit dem Fahrrad. Sie mochte die Zeichnungen.
»Die sehen so aus, als könnte man in sie reingehen.«
Das stimmte. Wieder war ich verblüfft von Xu Quinfans an Mangas und Graphic Novels geschultem Stil. Blanke Stellen wirkten wie Lichtreflexe. Jede Winzigkeit ließ das Bild lebendiger erscheinen.
»Wie geht’s deiner
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