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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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In Iras Garten war ich nie wieder gewesen. Herumschaufelnd in den herbstlichen Beeten des L’Angleterre schämte ich mich auch dafür.
    In der Novembermitte kamen ein paar Tage, die noch einmal erstaunlich mild waren, weil Südwind die Wolken vertrieb und die Sonne kräftig schien. Ich nutzte die Wärme, um Wände und Fenster der Möwenzimmer zu streichen, und ich freute mich jeder Minute, wenn ich dort oben im Dachstuhl stand, nachdachte und zugleich an nichts dachte und nach Norden auf den Ärmelkanal oder weit südwärts ins Land hineinblickte. Carlo fehlte mir, Maybritts Güte und Fröhlichkeit, das Lachen der Kinder. Die Stille im Hotel, wenn alle in ihre Zimmer verschwanden, war eine andere gewesen. Noch tagelang hatte ich in Maybritts Bett geschlafen, irgendwann aber war sogar ihr Duft verflogen gewesen.
    So wie Maybritt Juhl an einem der Möwenzimmerfenster gestanden und mich beobachtet hatte, als ich aus Anniks Wagen stieg, genauso stand ich eines Mittags dort oben, blickte hinunter aufs Kiesbett des Hofs, auf das die Sonne sonderbare Schattenmuster legte, und sah mit einem Mal, dass der schwarze BMW vor dem Tor parkte. Ich ging nach unten, stieg weiter ins Souterrain hinab und fand Annik draußen vor der Küchentür. Sie wartete, begrüßte mich lächelnd mit einem Kuss auf den Mundwinkel. Es war Sonntag, fiel mir ein, der Schrottplatz war geschlossen, und sie hatte frei.
    Eine Zeit lang saßen wir in der Küche und tranken jeder ein Glas Perrier. Hübsch sah sie aus, frisch geschminkt, ausgeschlafen. Sie fragte, ob ich mir einen Bart wachsen ließ.
    »Ja, vielleicht.« Ich strich mir übers Kinn. »Kommt drauf an.« Ich hatte noch keinen Gedanken an einen Bart verschwendet.
    »Worauf denn?«
    »Kommt drauf an, ob er weiterwächst, überall, meine ich. Weißt du, mein Bartwuchs hat Lücken, und einen löchrigen Bart will ich nicht.«
    Das verstand sie. Sie trank das Wasser, das ähnlich silbern wie ihr Lidschatten und ihre Wimpern funkelte. Ich kannte keine andere Frau mit silbernen Augen. Sie kniff sie zusammen, als sie sagte, eigentlich hätte sie sich denken können, dass mein Bart nicht bloß ein Bart, sondern ein komplizierter Bart war.
    »Wollen wir ein bisschen durch die Gegend fahren?«
    »Du meinst«, fragte ich, »so wie du und Serge?«
    Annik musste lachen, und etwas Perrier rann ihr aus dem Mundwinkel. »Entschuldige … nein – nicht wie Serge und ich!«
    Kurz kam ich ins Grübeln, fragte mich, was sie im Schilde führte, ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein, keinesfalls wollte ich über meinen gespenstischen Ausflug nach Cherbourg reden. War sie deshalb gekommen, um etwaige Neuigkeiten über Lilith aus mir herauszukitzeln?
    Ich schob die Vorstellung beiseite. Es war schön, sie zu sehen, gut, dass sie zurückgekommen war.
    »Du könntest mich auf dem Rückweg in Marigny absetzen. Ich möchte zu gern wissen, ob das Fahrrad noch dort steht oder ob es sich jemand unter den Nagel gerissen hat.«
    »Niemand hat es sich unter den Nagel gerissen. Du bist im Bessin. Es steht noch da, ich hab’s gesehen. Und es wird noch in zwei Jahren dastehen, wenn du es nicht abholst«, sagte sie und stand auf. Sie nahm die leeren Gläser und stellte sie in die Spüle. »On y va, M’sieur. Fahren wir ein bisschen rum und hören Musik.«
    Tatsächlich, das weiße Fahrrad aus dem Stechginsterbusch lehnte unverändert, wie diesen Morgen dort abgestellt, am Haltestellenhäuschen des Busses, der durch Marigny fuhr. Annik drosselte das Tempo, damit ich es sah und glaubte, kommentierte aber weder mein Staunen noch Schweigen, sondern gab einfach Gas und fuhr weiter.
    Schmale Straßen durchschnitten verschlafene Ortschaften, flach im Wind, kaum begonnen, schon wieder vorbei, Dörfer, lang wie ein Gewehrschuss, nannte sie Flaubert – nicht der Schrotthändler, sondern der Schriftsteller. In westlicher Richtung gondelten wir durch den Nachmittag, hörten dabei eine Aufnahme von einem der letzten Joy Division-Konzerte und redeten nicht viel.
    Abgesehen von einem Gang zum Briefkasten am früheren Pförtnerhaus war es das erste Mal, dass ich mich seit Cherbourg aus dem Hotel wagte. Unfassbar, wie ich die vergangenen Wochen verbracht, wie wenig ich gegessen, wie selten ich ein Wort über die Lippen gebracht hatte. Eine Songzeile der frühen Genesis hatte mich tagelang verfolgt, als ich das Stück im Radio hörte: »Lilywhite Lilith, she gonna take you thru’ the tunnel of night …« Alle paar Tage sprach ich zwei, drei

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