Nie wieder Ferienhaus
erlebt. Die Großmutter stand schon seit geraumer Zeit vor dem Schaufenster neben ihrer kleinen Enkelin, die fasziniert die neue Baby-Born-Bekleidungs-Kollektion bestaunte. Irgendwann wurde es der alten Dame dann zu viel, und sie sagte: »Komm, wir gehen jetzt!« – »Die Oma geht jetzt!« – »Die Oma geht jetzt ganz bestimmt!« Die Oma ging dann wirklich, sagen wir mal zehn Meter, und dann fiel der entscheidende Satz: »Sorayaschen, kumm bei de Omma!«
Was hatte ich mich damals amüsiert. Ich lachte noch, als ich schon zu Hause mit Anne Kaffee trinkend am Küchentisch saß.
Jetzt war ich die Oma, »dat Sorayaschen« hieß Edda, und ich hatte nichts mehr zu lachen. Mir blieb einfach keine Alternative.
Ich machte von meiner körperlichen Überlegenheit Gebrauch, klemmte mir das laut protestierende Töchterlein unter den Arm und machte mich so auf den Weg, quer über den ganzen Campingplatz, zu unserem Stellplatz.
Die Wege auf dem Campingplatz waren um diese Uhrzeit gut frequentiert. Mancher ging zum Waschhäuschen, ein anderer kehrte mit dem Kulturbeutel unterm Arm gerade zurück. In Edus Kantine war an diesem Abend bestimmt wieder Bingo oder Tischfußball oder Origami für Anfänger. Viele gingen auch mal einfach »so um den Pudding«, um zu gucken,welche Eltern gerade Schwierigkeiten mit ihren Kindern hatten.
Zumindest kam es mir so vor, dass alle nur darauf gewartet hatten, den Machtkampf eines hilflosen Vaters mit seiner heftigst protestierenden Unterarmtasche zu beobachten.
Ich hatte ehrlich nicht geglaubt, dass wir die beiden an dem Abend einigermaßen zeitig ins Bett kriegen würden. Aber wie erklärt man sich selber am liebsten die völlig renitenten Nachkommen? Man sagt sich, die sind einfach müde. Das waren sie wohl auch.
Keine zwanzig Minuten später saßen Anne und ich vor dem Vorzelt, und es drang nicht einmal der sprichwörtliche Mucks aus dem Wohnwagen.
Wir hatten uns ein Glas Weißwein eingeschenkt, und wir genossen die Ruhe. Die Vögel, die im Gebüsch vor der Gracht umherhüpften, der Wind, der in den Pappeln spielte, das Leuchten des Glühwürmchenmännchens auf der Suche nach einer Partnerin, alles das konnte man nur hören, weil man sonst nichts hören konnte.
Eine solche Ruhe hat durchaus etwas Magisches. Ich schloss die Augen, denn ich wollte etwas ganz besonders Schönes zu Anne sagen. Ich öffnete den Mund, doch noch bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich schon die Worte. Es waren nicht meine Worte, und es war nicht meine Stimme.
Es war Hilde Fritzen-Büsinger, die sich arglistig im Schatten des Windschutzes angeschlichen hatte: »Dieses Verhalten hatte Benedikt früher auch. Deshalb habe ich mal an einem Workshop teilgenommen.Durch zu viel Aufmerksamkeit zwingen Eltern die Kinder quasi dazu, noch mehr Aufmerksamkeit zu verlangen. Ich habe …!«
Ich ging in den Wohnwagen und holte mein Portemonnaie. »Was hast du vor?« – »Ich gehe in Edus Kantine Bingo spielen!«
Hilde war besser über das Animationsprogramm informiert: »Bingo ist doch immer donnerstags, heute ist Caribbean Night!«
»Dann gehe ich eben Limbo tanzen!«
Das Mosselen-Fest
Ich habe ja die grundlegenden Unterschiede zwischen holländischen und deutschen Campingplätzen bereits erklärt. Aber es reicht nicht aus, auf einem holländischen Campingplatz zu stehen, es müssen auch genügend Holländer da sein. Auf unserem Teilstück von De Grevelinge waren es Rinus und Ans, Jan und Wilma, Ben und Rietje.
Ben war ungefähr das genaue Gegenteil von Rudi Carrell, aber er war einfach so, wie man sich einen typischen Holländer vorstellt, wenn man Rudi Carrell nicht kennt. Er hatte einen mächtigen Bauch, einen mächtigen Rauschebart und eine Lache, wie man sie sonst nur von einem Seebär kennt, der Jahrzehnte am Ruder seines Fischkutters zugebracht hatte, oder vom Nikolaus.
Auf De Grevelinge wurde man morgens nicht vom Hahn, sondern vom tiefen, kehligen Lachen von Ben geweckt. Lassen Sie es mich so sagen. Wer Ben kennt, weiß: Der Käptn Iglo in der Werbung ist eine krasse Fehlbesetzung. Ben hatte die Idee, wir sollten ein Mosselen -Fest feiern.
Jan van de Krabben hieß nicht nur so, er war im Privatleben tatsächlich Koch und wohnte mit seiner Frau Wilma rechts neben uns. Er erzählte mir, Wilma habe einen sehr wichtigen Job und hundert Leute untersich. Ich habe mich extra erkundigt. Sie arbeitete nicht bei der Friedhofsverwaltung.
Ich weiß nicht, was Jan als Koch so kochte, aber eines weiß ich: Mosselen
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