Nie Wirst Du Entkommen
den Nacken. »Ja. Wir können von der Frau zwar kein Geständnis mehr kriegen, aber wenigstens kann Tess beruhigt sein, dass niemand sie mehr am Telefon imitieren wird.«
»Aber genau das sollen wir denken«, sagte Murphy langsam. »Es war zu leicht, sie zu finden. Er hätte sie irgendwo anders umbringen können, so dass wir eine Weile gebraucht hätten, um sie zu identfizieren.«
Aidan fuhr sich frustriert mit den Fingern durchs Haar. »Er wusste, dass wir nach ihr suchen würden. Er hat zugehört, als ich Seward sagte, wir hätten Beweise, dass jemand Tess imitiert hat. Aber was wird er jetzt tun? Er hat keine Marionette mehr.«
»Vielleicht ist er durch mit seinem Programm«, sagte Jack.
Aidan schüttelte den Kopf. »Nein, das ist er nicht. Obwohl er sein Ziel schon erreicht haben könnte. Er hat weiß Gott wie viele Patienten höllisch wütend gemacht. Er mag es, die Dinge zu kontrollieren, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Durch seine Manipulation haben es nun ein paar zornige Gestörte auf Tess abgesehen.«
»Und möglicherweise trägt er ein Abzeichen.« Murphy sah Spinnelli mit hartem Blick an. »Was machen wir jetzt mit unseren Briefeschreibern?«
Spinnelli schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall will ich, dass Sie Augen und Ohren offen halten. Bald ist es durch, dass die Dienstaufsicht sich eingemischt hat, und dann kann es ungemütlich werden.« Er stand auf. »Jack, sagen Sie mir so bald wie möglich, ob wir einen Treffer für die Fingerabdrücke haben. Dann nehmen wir den Kerl wegen Mordes an Dr. Ernst Harrison fest. Aidan, Sie bringen Tess in ein Hotel, so dass sie ein bisschen Schlaf bekommt. Wir sehen uns morgen früh wieder hier.«
Dienstag, 14. März, 23.55 Uhr
T ess sah die weißen Highway-Lichter vorbeigleiten. Sie würde in kein Hotel gehen. Reagan brachte sie nach Hause. In sein Zuhause.
Mit der Gummientchentapete und den Motorteilen in der Garage. Sie hätte ihn bitten können, sie in ein Hotel zu fahren, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie sollte ihm danken. Würde ihm danken. Wenn diese enorme Last, die ihr auf die Brust drückte, sich weit genug hob, dass sie wieder frei atmen konnte.
Er war nicht mehr da. Harrison war nicht mehr da. Genau wie Eleanor, und beide hatten ihr so viel beigebracht, so viel gegeben. Es war nicht ihre Schuld. Das wusste sie. Genau wie sie wusste, dass die Anklage in den Augen seiner Kinder eine normale Reaktion auf unendliche Trauer war. Aber die Blicke waren wie Dolchstöße gewesen, und verbunden mit der Tatsache, dass drei weitere Menschen sie bedrohten … Sie war wie in Trance aus dem Krankenhaus getaumelt, hatte sich ein Taxi genommen und war zu dem ersten Menschen gefahren, der ihr in den Sinn gekommen war. Sie war zu Aidan Reagan gefahren.
Dumm war das gewesen. Das Krankenhaus allein zu verlassen. Ob es ebenfalls dumm gewesen war, dem Drang nachzugeben, Aidan zu sehen, würde sich noch herausstellen. Wallace Clayborn hätte ihr draußen auf der Straße auflauern können, um sie umzubringen, so wie er auch Harrison umgebracht hatte. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass es Clayborn gewesen sein musste. Tess erinnerte sich nur allzu gut daran, wie Clayborn in ihrer Praxis gesessen und seine Hände mit einer Mischung aus Stolz und Furcht betrachtet hatte. Seine Waffe waren seine bloßen Hände. Und damit hatte er Harrison Ernst umgebracht.
»Hat Jack Fingerabdrücke finden können?«, fragte sie tonlos.
Er blickte sie überrascht an. »Ich dachte, du schläfst.«
»Nein. Noch nicht.« Als ob sie später schlafen würde. Zu vieles ging ihr durch den Kopf. Zu vieles wühlte sie auf. Angst. Trauer. Wut. Hass. »Und? Hat er?«
»Als wir gingen, lief die Anfrage noch.«
Sie blickte aus dem Fenster. Wog die Privatsphäre ihrer Patienten gegen die Verpflichtung Harrison gegenüber ab. Sich selbst gegenüber. Aber alles, was sie sah, war Harrison. Und die weinende Flo und seine Kinder. »Ruf Jack an.« Sie schluckte. »Frag nach, ob er einen Namen hat. Bitte.«
Ohne etwas zu sagen, holte er sein Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahl. »Jack, hier ist Aidan … Nein, mit ihr ist alles in Ordnung. Sie möchte wissen, ob du einen Namen aus dem Zentralregister hast.« Eine kurze Pause. »Er hat die Auswahl auf fünfzig Männer einengen können. Was willst du tun, Tess?«
Hass wallte in ihr hoch. »Fängt irgendeiner davon mit C an?«
Er fragte Jack. »Ja. Drei.«
Die hilflose Wut
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