Nie Wirst Du Entkommen
nicht, dass es viel nützt. Ich denke, er hat irgendwas genommen.«
»Wir können aber keine halbe Stunde warten, bis der Vermittler hier eintrudelt. Der Mann hat schon seine Frau getötet. Er hat keinen Grund, die Ärztin am Leben zu lassen. Hat irgendjemand eine Ahnung, warum er das tut?«
»Als wir aus dem Fahrstuhl kamen, hörten wir ihn sagen, dass der Doktor seine Frau angerufen und ihr alles erzählt habe, obwohl sie doch versprochen hatte, es nicht zu tun. Seine Frau habe gedroht, ihn zu verlassen. Und dann hat er sie erschossen. Seine Frau.« Ripleys Lippen bildeten einen blassen Strich. »Ihre Ärztin war zuerst wie erstarrt. Dann wollte sie weglaufen, aber er packte sie. Es gab nichts, was wir tun konnten.«
Aidan blickte zum Ende des Korridors, wo Murphy stand und telefonierte. Sein Partner hob den Kopf und blickte ihn warnend an. Schließlich nickte er, und Aidan trat auf die Tür zu. Die Stahltür hing schief in den Angeln. Zwei Männer hätten Mühe gehabt, das Ding einzutreten.
Ein durchtrainierter, wütender Football-Spieler hatte es aber offenbar mühelos geschafft. Und der hielt augenblicklich Tess Ciccotelli im Schwitzkasten und bedrohte sie mit einer Waffe. Es war eine .45er, aber in der Hand des riesigen Mannes wirkte sie wie eine Spielzeugpistole. Tess’ Augen waren geschlossen, sie hielt sich still, aber ihre Brust hob und senkte sich sichtlich. Sie hielt seinen Unterarm umklammert und zog sich weit genug nach oben, damit sie einigermaßen atmen konnte. Ihre Zehen berührten gerade noch den Boden. Ein Schuh war bis in den Flur geflogen, der andere lag neben Mrs. Sewards Leiche.
Sie hatte sich gegen ihn gewehrt, bewahrte nun aber erzwungene Ruhe.
Seward selbst starrte Aidan direkt an, aber sein Blick schien nicht fokussiert. Der Mann wiegte sich leicht hin und her, als bewege er sich zu einer Musik, die nur er hören konnte.
»Seward«, sagte Aidan, und der Blick des Mannes wurde mit einem Schlag scharf. »Lassen Sie sie los.«
Tess’ Lider flogen auf, und Aidan las mühsam kontrolliertes Entsetzen darin. Und das stumme Flehen um Hilfe. Und Vertrauen. Im Stillen befahl er seinen zittrigen Knien, ihn jetzt ja nicht im Stich zu lassen. Ihr Leben lag in seiner Hand.
»Nein«, sagte Seward. »Sie hat es weitergesagt. Sie hat ihr Wort gebrochen.«
In seiner Miene veränderte sich etwas, und Aidan fällte ein Blitzurteil. Dieser Mann war klar genug, um die Fakten zu begreifen, und er war schon zu weit gegangen, um sich mit Plattitüden und Versprechungen abspeisen zu lassen. »Sie hat niemandem etwas gesagt. Jemand anderes hat Ihre Frau angerufen und sich als Dr. Ciccotelli ausgegeben.«
Sein Blick zuckte einen kurzen Moment lang zu seiner toten Frau am Boden, dann richtete er sich wieder auf Aidan. »Sie lügen«, sagte er, doch seine Stimme war unsicher geworden. Offenbar wurde ihm langsam, aber sicher klar, was er getan hatte.
»Lesen Sie Zeitung, Seward? Oder sehen Nachrichten? Haben Sie von den zwei Selbstmorden diese Woche gehört?«
Etwas bewegte sich in seinen Augen. »Ja. Na und?«
»Auch das waren ihre Patienten. Jemand hat sie angerufen. Wir haben Beweise, dass es nicht Dr. Ciccotelli war. Sondern jemand, der ihre Stimme nachahmt.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber das war Aidan momentan herzlich egal.
Wieder blickte Seward zu Boden, zu seiner zierlichen Frau, die in ihrer eigenen Blutlache auf dem Teppich lag. Seine Hand mit der Pistole begann zu zittern, und Aidan sah, wie Tess tief Atem holte. Aber ihre dunklen Augen fixierten ihn noch immer, genau wie sie es am Morgen getan hatten, als sie im Tonstudio saß und die Worte einer Mörderin nachsprechen sollte.
»Sie wusste es«, krächzte Seward. »Sie wollte mich verlassen.«
»Das tut mir leid, Malcolm«, erwiderte Aidan ruhig. »Aber Dr. Ciccotelli hat ihr nichts verraten. Lassen Sie sie bitte los. Tun Sie das Richtige und lassen Sie sie los.«
Er schloss die Augen. »Ich habe sie umgebracht. Meine Gwen.«
Aidan schwieg, und der große Mann begann zu schluchzen. Sein Arm packte fester zu, und Tess verzog vor Schmerz das Gesicht, als er den Pistolenlauf fester an ihren Kopf presste. »Ich habe Sie umgebracht, und das ist ihre Schuld.« Er ruckte mit dem Arm, und Tess schnappte nach Luft und versuchte verzweifelt, sich noch höher zu ziehen. Doch es gelang ihr nicht. Sewards Tränen schnitten Linien in das Blut und den Schmutz in seinem Gesicht.
Aidan kämpfte die Panik nieder. »Eine unschuldige Frau
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