Nie wirst du vergessen
Wind zerzaust. Tropfen rannen ihm übers Gesicht und in den Kragen des
abgetragenen grauen Sweatshirts. Winters schien einen anstrengenden Jog-
ginglauf hinter sich zu haben, denn er atmete schwer und schnell. Nach einem
flüchtigen Blick auf Lauren, der er höflich zulächelte, ging er zu Amanda an
den Schreibtisch.
Die Sekretärin war beim Erscheinen ihres Chefs
sichtlich nervös geworden und schaute erst auf Lauren und dann auf Winters.
„Ich hatte Sie heute gar nicht mehr erwartet",
sagte sie so laut, dass Lauren es hören musste.
„Ich habe auch nicht die Absicht zu bleiben", erwiderte
der hochgewachsene Mann und nahm ein Handtuch aus einer der Schubladen heraus.
Dann wischte er sich das Gesicht ab und legte sich das Handtuch um. „Ich wollte
mir nur eben die Zeugenaussage von McClosky abholen. Haben Sie sie schon geschrieben?"
„Ist bereits auf Ihrem
Tisch."
„Gut."
Ohne ein weiteres Wort ging Zachary Winters an Amandas
Schreibtisch vorbei zum Ausgang. Lauren merkte, dass der Anwalt wieder
verschwinden wollte. Er stürmte bereits mit langen Schritten den Korridor
entlang. Schleunigst griff sie nach ihrer Handtasche und stand auf.
„Kann ich ihn jetzt sprechen?", fragte sie
Amanda, die sich auf die Lippen biss und ihrem Arbeitgeber nachstarrte.
„Oh ... nein, er holt
sich nur etwas ab."
„Er weicht mir
anscheinend aus."
„Das glaube ich nicht", erwiderte Amanda. Doch es
klang nicht sehr überzeugend.
„Es ist sehr
wichtig." Laurens Nerven hielten nicht mehr lange durch. Sie durfte nicht
zulassen, dass ihr der Anwalt über die Hintertreppe entschlüpfte. Viel zu viel
stand für sie auf dem Spiel.
„Ich könnte ihn ja vielleicht fragen", schlug
Amanda vor.
„Nein. Ich finde es besser, die Sache selbst in die
Hand zu nehmen", sagte Lauren energisch und lief zur Tür.
„Warten Sie einen Moment!", rief Amanda.
Lauren achtete nicht auf sie, rannte um die Ecke - und
blieb abrupt stehen. Dicht vor ihr lehnte Zachary Winters an einem Fenster des
Korridors und schüttelte die müden Beine aus. Die Hände hatte er auf das
Fensterbrett gelegt, den Kopf zwischen die muskulösen Schultern gesenkt. Die
ausgebleichten Jogging- shorts klebten ihm am Körper.
„Mr. Winters", wandte sich Lauren mit leiser
Stimme an ihn.
Er hob den Kopf und heftete den Blick seiner fast
schwarzen Augen auf Lauren. Dann richtete er sich auf und lächelte ein wenig
verlegen. Während er seine verspannten Nackenmuskeln massierte, fragte er unvermutet
scharf: „Ja, was ist?"
Lauren war bewusst, dass sie störte, ließ sich aber
dadurch nicht verunsichern und reichte ihm die Hand. „Ich bin Lauren Regis.
Seit über zwei Wochen
versuche
ich Sie zu erreichen."
Er schien ihren Namen noch nicht gehört zu haben, wie
sie seinem verwunderten Gesichtsausdruck entnahm. Doch in den Augen mit den
rabenschwarzen Wimpern flammte so etwas wie Respekt und Bewunderung auf. Als
er, wenn auch zögernd, schließlich doch ihre Hand nahm, betrachtete Lauren ihn
genauer.
Er war völlig anders, als sie sich ihn vorgestellt
hatte. Sie war überzeugt gewesen, dass er einen teuren dreiteiligen Maßanzug
tragen und größtes Selbst- bewusstsein ausstrahlen würde.
„Ich sagte der Dame bereits, dass Sie beschäftigt
sind, Mr. Winters", hörte Lauren plötzlich Amandas Stimme. Die Sekretärin
war ihr gefolgt und versuchte offensichtlich, Winters das Stichwort für eine
Ausrede zu geben, falls er nicht mit Lauren sprechen wollte.
Winters lächelte strahlend und wehrte Amanda mit einer
Handbewegung ab. „Schon gut, Mandy", beschwichtigte er sie, ohne Lauren
aus den Augen zu lassen. „Ich habe einige Minuten Zeit, um mit Mrs. Regis zu
sprechen. Wir gehen in mein Büro."
Amanda wollte eigentlich etwas erwidern. Doch als sie
den warnenden Blick ihres Chefs bemerkte, hielt sie lieber den Mund.
Zachary wandte sich an Lauren. „Immer geradeaus und
dann die erste Tür rechts." Er deutete mit dem Kopf auf sein Büro. „Wenn
es Ihnen recht ist, können wir uns jetzt gleich unterhalten."
Erleichtert atmete Lauren auf. Vielleicht würde sie
nach einem quälenden langen Jahr ergebnisloser Suche nun doch noch ihre Kinder
finden - mithilfe dieses Mannes.
Beim Anblick der Frau, die vor ihm stand, verspürte
Zachary plötzlich ein seltsames Gefühl. In ihren Augen lag eine so große
Traurigkeit, dass er erkannte, wie sehr sie gelitten haben musste. Obwohl ihr
zartes Kinn energisch vorgeschoben war, kam sie ihm sehr verletzlich vor.
Sein Instinkt riet
Weitere Kostenlose Bücher