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Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
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erkennbar, und er machte sich Sorgen, dass bereits die Abenddämmerung eingesetzt haben könnte.

7 – Um Rat bitten
    Schweigsam, als hätten sie wie zwei Fremde einander nichts zu sagen, saßen sie an einem der Holztische, auf einer Eckbank einander halb zugewandt, und warteten darauf, die Bestellung aufgeben zu können. Die Bestellung und das Essen würden von der Stille ablenken, die längst unangenehm geworden war. André hatte einen Bärenhunger; ob auch Louise, deren Sandwich noch immer im Rucksack lag, hungrig war, wusste er nicht.
    Der Wirt, ein Mann in ihrem Alter, stand noch bei einigen Gästen, die in einer anderen Ecke saßen. Er trug, die Ärmel hochgekrempelt, ein einfaches, beiges Hemd. Nur das modisch gestutzte Bärtchen hob ihn von anderen, älteren Einheimischen ab, die weniger auf ihr Äußeres achteten. Er besaß einen gut genährten Körper; gemütlich stand er da bei den anderen Gästen, als hätten André und Louise ewig Zeit.
    Die in die Jahre gekommene Steinhütte lag auf über 2500 Metern über Meer, besaß kleine Fenster mit leuchtend roten Läden und war innen mit Holz, teilweise mit Arvenholz, verkleidet. Kaum hatten sie die Gaststube betreten, wies André auf den Duft des Arvenholzes hin, von dem er bereits vor Wochen erzählt hatte, und er pries ihn noch einmal an, so lange, bis Louise halb zustimmte und halb dagegenhielt, dass die Einrichtung bieder sei.
    Seither schwieg André. Selbstverständlich war die Inneneinrichtung einer Berghütte volkstümlich und spießig: rustikale Holzmöbel mit altmodischen Sitzpolstern, an den Wänden Kuhglocken und Fahnen mit Schweizerkreuzen– aber was erwartete Louise? Moderne Architektur?
    Sie waren spät an ihrem Tagesziel angelangt, nach Beginn der Abenddämmerung, die wegen der schwarzen Regenwolken bereits am Nachmittag eingesetzt hatte, aber noch vor der nicht zu unterschätzenden Dunkelheit. Die Hütte hätten sie zwar leuchten sehen, aber vielleicht wären sie vorher vom Weg abgekommen oder unglücklich über Steine gestolpert. Wobei: André wusste von unzähligen Nachtwanderungen bei den Pfadfindern, wie man im Dunkeln ging, nämlich ohne Taschenlampe oder Laterne, leuchtete der Weg doch stets oder hob sich zumindest mit einem hellen Schein ab. Ging man im Wald, brauchte man nur nach oben zu blicken: die Kronen der Bäume ließen genau über dem Weg eine Schneise frei, und der Himmel leuchtete hell.
    Diesmal hätten allerdings die schwarzen Wolken für tiefe Dunkelheit gesorgt. Und dennoch hätte der steinige, felsige Weg geleuchtet, wenn auch minimal, und wäre selbst dies mit dem Auge nicht mehr erkennbar gewesen, hätten sie getrost die Augen schließen und sich auf das Gefühl in ihren Füßen verlassen können. André war überzeugt: Man musste mit der Natur verschmelzen, um zu überleben, musste mit ihr und nicht gegen sie arbeiten. Von Taschenlampen und anderem technischen Kram hielt er nichts.
    Nach der großen Ebene, als sie, nass und vom schneidenden Wind wie durchweht, beide mit leichten Kopfschmerzen nichts dagegen gehabt hätten, bereits bei der Hütte zu sein, war noch einmal ein steiles Stück mit einer Steigung von dreihundert Höhenmetern gefolgt, für das sie eine gute Stunde benötigten. Auf einmal war Louise schneller geworden; sie wollte endlich ankommen.
    Zu Andrés Erstaunen sprach der Wirt, als er an ihrem Tisch stand, nicht Schweizerdeutsch, sondern Deutsch.
    » Die Flädlesuppe kann ich euch empfehlen « , sagte er.
    Louise hob den Kopf und lächelte den Deutschen an. » Dann probiere ich diese Flädlesuppe « , sagte sie, so aufgeschlossen, wie sie den ganzen Tag nicht gewesen war. » Und danach ein Kotelett mit Nudeln und Gemüse. Woher aus Deutschland kommen Sie? «
    » Aus dem Erzgebirge. Und du bist auch aus dem Osten? «
    Als komme sie einer solchen Aufforderung nur zu gerne nach, duzte Louise ihn auch, sagte, sie sei aus Mecklenburg-Vorpommern, wohne aber seit Jahren in Berlin.
    Wie alte Bekannte– wie kam es, dass Leute aus der ehemaligen DDR sich gegenseitig erkannten?– sprachen sie eine Weile so weiter, zu Andrés Verdruss, der sich ausgeschlossen fühlte und sich ärgerte, dass Louise zu Fremden freundlicher war als zu ihm. Dann endlich ging der Wirt wieder seiner Arbeit nach.
    Aber schon brachte er die Flädlesuppen, auch André hatte eine bestellt, und einen gut gefüllten Korb mit Brot. Während Louise und der Wirt ihre Unterhaltung wieder aufnahmen, begann André zu essen. Er hörte nicht zu, was

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