Niedergang
Verstehe « , sagte er. » Aber keine Sorge, das geht vorbei. Spätestens morgen… «
» Puh « , machte Louise, als wolle sie nichts mehr hören.
Er gab Ruhe, aß seinen Apfel, den er aus dem Rucksack hervorgekramt hatte. Er wusste, dass manche ungeübten Wanderer Schwierigkeiten bekamen, wenn sich oberhalb der Baumgrenze die grüne Natur nach und nach in eine graue, steinige verwandelte. Diese Leute klagten über Unwohlsein, Augenprobleme, sogar über leichten Schwindel– das hatte er alles schon gehört, wenn auch selber noch nie erlebt. Bei den Pfadfindern hatte keiner mit den Steinfeldern Probleme gehabt.
» Das ist nur psychisch « , sagte er. » Versuche nicht darauf zu achten; du wirst dich bald daran gewöhnt haben. In den nächsten drei Stunden wirst du weniger Felsen und mehr Panorama, mehr Himmel sehen. «
12 – Der unerbittliche Buckelgrat
Das exponierte Plateau lud nicht zu einer längeren Pause ein; die starken Windböen stürmten ungehindert über sie hinweg, es gab keinen Schutz. Und Zeit war auch nicht: die erste Hälfte des Nachmittags war vorüber, und sie hatten noch gut drei anstrengende Stunden vor sich.
Louise wusste das, und dennoch legte sie sich auf dem eiförmigen Stein hin, den Kopf auf den Rucksack gebettet. André ahnte: Sie wartete nur darauf, dass er zum Aufbruch drängte, dann hatte sie einen Grund, sich zu beschweren.
Er schwieg, wusste nicht, weshalb ihre Laune wieder schlechter war. Am Morgen war sie diejenige gewesen, die unbedingt die Wanderung hatte machen wollen. Vermutlich blieb sie nun so lange liegen, bis er weiterwandern wollte und sie ihm Vorwürfe machen konnte. Louise war oft launisch, vor allem während ihrer Tage, und er hatte gelernt, damit umzugehen, lernte es noch immer. Rief sie ihn an, konnte er nicht selten allein am Klang ihrer ersten Worte hören, dass sie ihre Tage hatte. Ein solches Gespräch begann manchmal ohne Begrüßung, Louise sagte unwirsch: » Nimmst du heute das Telefon nicht ab? « oder: » Willst du nicht mit mir sprechen? « – nur weil er auf der Toilette gewesen war und das Telefon notgedrungen einige Zeit hatte klingeln lassen müssen.
Das Resultat war, dass er in diesen Zeiten tatsächlich weniger gerne mit ihr sprach, was wiederum Louises Vorwürfe bestätigte. Ein Teufelskreis, der oft gerade dann, wenn er ausweglos schlimm geworden war, gebrochen wurde: Louises Stimme klang bestens gelaunt und verkündete scherzend, die Tage seien vorbei und er diesmal besonders lieb und geduldig gewesen. Dann lachte Louise. Nicht immer lachte er mit.
Er wusste, dass sie ihre Menstruation während dieser Wandertage nicht bekam. Und er dachte an die letzte Rast vor etwas mehr als zwei Stunden, bei der sie sich geliebt hatten. Wie sehr unterschied sich die jetzige Stimmung von jener bei der Mittagspause!
Er bemerkte, dass Louise eingeschlafen war. Verärgert stand er auf und tat einige Schritte. Die Zeit lief ihnen davon! Er wollte nachher nicht Louises schlechte Laune ertragen müssen, weil sie spät am Abend ankamen und gleich mit Kochen beginnen mussten, ohne sich vorher erholen zu können.
» Louise « , sagte er leise und berührte ihre Schulter, » es tut mir leid, aber… «
Sie schreckte hoch, rieb sich fröstelnd die Arme, obwohl sie ihre Jacke angezogen hatte, und schaute sich um. » Diese Steine « , sagte sie, » überall diese grauen Felsen! «
» Ja « , sagte er, » so ist es in den Bergen. «
» Wären wir nur an die Müritz gefahren, dann könnte ich jetzt am Wasser liegen und ein Eis essen. «
Du und deine bekloppte Seenplatte!, hätte er am liebsten gesagt, unterließ es aber.
» Ich hatte heute Morgen vorgeschlagen, eine andere Route zu gehen, es gemütlich zu nehmen. Du wolltest nicht. «
» Ja. Weil ich weiß, was dir diese Wanderung bedeutet. «
Er schwieg, verärgert.
» Überübermorgen « , sagte er schließlich, einen neuen Anlauf nehmend, um die Dinge ins Lot zu bringen, » wenn wir wieder unten sind, kaufe ich dir ein Eis. «
Louise gähnte. Sie streckte sich.
» Über-über-morgen « , sagte sie, als versuche sie sich vorzustellen, wie lange das noch dauere und wie viele Wanderstunden, Steilhänge, hohe Tritte vorher zu bewältigen seien.
Endlich marschierten sie weiter. Der steinige Grat, der keinerlei Schutz vor dem Wind bot, war lediglich fünf oder sechs Meter breit. In der Mitte lag der Weg, kaum oder gar nicht sichtbar, da alles Fels war, aber wo sonst als in der Mitte sollte der Weg sein?
Als
Weitere Kostenlose Bücher