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Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
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nicht zu– obwohl diese kleine Sexpause nur wenige Minuten gedauert hätte, so flüchtig gewesen wäre wie ein Kuss während des Gehens.
    Er deutete eine Hüpfbewegung an, damit der Rucksack nach oben sprang und er die Schultergurte anziehen konnte. Auch den Hüftgurt zog er an, damit die Last nicht zu sehr auf den Schultern lag.
    » André « , hörte er von hinten Louise rufen.
    Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um, was ein leichtes Wanken des Oberkörpers zur Folge hatte. Die Beine waren so stark an das stundenlange Wandern gewöhnt, dass ein plötzliches Stehenbleiben nicht einfach war, wie wenn man lange im Meer bei einigem Wellengang geschwommen war und, zurück am Strand, sich kaum auf den Beinen halten konnte, weil der Gleichgewichtssinn noch immer die Wellen auszugleichen versuchte.
    » Ja? « , fragte er. » Alles gut? «
    » Na ja « , sagte sie und blieb stehen, wo sie war, einige Meter entfernt. Sie beugte den Oberkörper nach vorn und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab, eine Haltung, die sicherlich viel Kraft brauchte, aber das Gewicht des Rucksacks kurz verlagerte.
    » So siehst du aus, als hättest du eine Rakete auf dem Rücken « , witzelte er.
    » Dann kann ich ja ins nächste Dorf fliegen. «
    » Nicht auf den Berg hoch? «
    » Doch « , sagte sie, » natürlich auf deinen Berg hoch! «
    Offenbar war Louises Laune nicht besser geworden. Dabei kamen sie ordentlich voran, und für eine Flachländerin schlug Louise sich gut.
    » Ich finde, du schlägst dich gut « , sagte André.
    » Aber trotzdem bin ich geschlagen. «
    » Ach Quatsch! «
    Er ging ihr entgegen. Am liebsten hätte er sie geküsst und ihr die Kleider ausgezogen, hielt dies aber für keine gute Idee. Stattdessen legte er die Hand auf ihre Schulter und sagte, dass der Weg wirklich anstrengend sei, dieses ewige Rauf und Runter, das schlage auf die Psyche.
    Nachdem sie genickt hatte– er wusste nicht, wie er dieses Nicken interpretieren musste–, hob er den Arm und schaute auf die Uhr.
    » Noch eineinhalb Stunden. «
    Einen Moment lang dachte er über diese Zeitangabe nach. War es noch weit oder ein Klacks? Die Anstrengungen von gestern und den vergangenen Stunden spürte auch er in den Knochen. Ohne Zweifel würde er die verbleibende Strecke schaffen, ohne wirklich an seine Grenzen zu stoßen, aber dieses Auf und Ab forderte ihn, wurde zu einem kleinen, nicht ernstlichen Kampf, aber dennoch zu einem Kampf.
    André fragte sich, ob er, wenn an dieser Stelle ihr Tagesziel wäre, zufrieden mit seiner Leistung den Abend genießen würde, ohne das Gefühl, zu wenig weit gewandert zu sein. Und er gestand sich ein, was er Louise jedoch nicht erzählen würde, dass die heutige Strecke bis hierher nicht schlecht gewesen wäre, weder zu kurz noch zu lang, eine Herausforderung, aber nicht eine Überforderung, kräftemäßig keineswegs zu lasch, aber doch so, dass er noch genügend Reserven für den morgigen, besonders anstrengenden Tag hätte.
    Aber für ihn war es auch in Ordnung, noch eineinhalb Stunden weiterzulaufen. Eine Zugabe, die seine Reserven vielleicht anzapfte, nur wenig, nicht der Rede wert– über Nacht würde sein Körper sich vollständig erholen.
    Louise schaute seitwärts, den Kopf leicht gesenkt, zum Hang, wo wenige Meter von ihnen entfernt Steine lagen, die sie kaum noch hätten hochheben können. Ihr Kopf bewegte sich nicht. Was mochte sie in ihrer Lethargie denken? Den Blick auf die Steine gerichtet, schien es, als würde sie selbst zu Stein.
    Auf einmal bewegte sie das Gesicht leicht hin und her, eine verneinende Bewegung.
    » Also… « , sagte sie lahm, » diese Steinöde ist nichts für mich. «
    Er atmete tief ein und aus. Er hatte ihr Bilder gezeigt, sie mehrmals gefragt, ob die Wanderung für sie in Ordnung sei. Aber sie hatte nicht wissen können, dass ihr die Kargheit nicht bekam.
    » Es tut mir leid « , sagte er. » Aber glaube mir, man gewöhnt sich daran, morgen wird es bestimmt besser gehen. «
    » Ja. «
    Louise ging ein paar Schritte weiter.
    » Na los « , sagte er, und scherzend fügte er an: » Wir haben keine andere Möglichkeit, als zum Ziel zu gelangen. «
    André trieb seine müden Beine voran. Ihr Widerstand– ein Schmerz, eine Schwere– war stärker, als er gedacht hatte, und er beschloss, nicht mehr stehen zu bleiben. Kaum blieb er stehen, wurden die Beine zu Blei, setzte bei ihnen eine Erholungsphase ein, eine Art Schlaf. Nun würde es einige Minuten dauern, bis sie eingelaufen

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