Niedergang
bestimmt könne man sich gut im Gras sonnen. Es gebe auch ein Restaurant.
» Ach, du hast letzte Nacht gar nicht in deinem Buch gelesen, sondern die Karte studiert? «
» Das ist wohl nicht verboten. Ich möchte nicht auf diesen Gipfel; ich möchte Urlaub haben und wenigstens einmal baden und endlich wieder richtig essen. «
Sie hatte sich im Kamin nicht unwohl gefühlt, sondern alles geplant gehabt! André schwieg. Er antwortete nicht, in der Hoffnung, Louise würde, da ihre Worte ins Leere gingen, von selbst einlenken.
Wenn er nicht mitkommen wolle, fuhr sie fort, könne er allein auf den Gipfel klettern und danach den Weg zum See einschlagen. » Dort können wir uns treffen « , sagte sie wohldurchdacht.
Sie wusste, dass er die Kletterpartie allein nicht in Angriff nehmen konnte; er brauchte jemanden, der ihn sicherte. Ihr Vorschlag war nichts als eine Gemeinheit, eine Provokation, um ihn zu ärgern, um ihm zu zeigen, dass er von ihr abhängig war.
» In Ordnung « , sagte er und wies nach hinten auf seinen Rucksack. » Was brauchst du? «
Sie teilten die Sachen auf. Louise nahm das Zelt, sie musste einmal vor Erreichen des Sees übernachten, sowie den Gaskocher; einen kleineren Reserve-Gaskocher, den sie mitgenommen hatten, behielt André, wie auch das Kletterseil, das unnütz geworden war, und die ebenso nutzlos gewordenen Karabiner und Bandschlingen. Er wusste, dass Louises Route, wenn man nicht leichtsinnig handelte und irgendeinen Unfug anstellte, ungefährlich war, sonst wäre er auf ihren Vorschlag nicht eingegangen. Sie schien zufrieden zu sein, nichts deutete darauf hin, dass sie einknickte und doch mit ihm kam, wie er insgeheim hoffte.
Verärgert wandte André sich ab, ging zum Kamineingang, sagte laut vor sich hin, dass dieser Urlaub von ihnen beiden als Wanderurlaub geplant worden sei. Er drehte sich noch einmal nach Louise um und sagte verbittert, dass er sich von ihr diese Wanderung nicht kaputt machen lasse. Er werde auf jeden Fall den Gipfel bezwingen; nun müsse er die beinahe zehn Meter eben ungesichert klettern.
Zu seinem Erstaunen kümmerte Louise das nicht. Sie war bereits losgegangen. Schaute sich nicht nach ihm um, schien nicht zu hören, was er sagte, und verschwand einige Meter unter ihm hinter einer Ecke.
» Vielleicht arbeitet beim See ja ein Deutscher! « , rief er so laut, dass sie es hören musste.
16 – Allein im Kamin
Mit strammen Schritten stürmte André in den Kamin hinein, den Atem zugeschnürt. Die Kränkung wegen Louises Entscheidung war so groß, dass er weder nachdenken konnte noch den Felsen wahrnahm, der ihn nun wieder umschloss. Zornig stampfte er den Gang hinauf, hielt sich am Stahlseil fest, stieß mehrmals aus Unachtsamkeit mit den Handknöcheln gegen die Felswand, sodass sie aufschürften.
Nur langsam kam er zur Besinnung. Ihn alleinzulassen, war ein starkes Stück. Aber er hatte der Trennung zugestimmt, selber keine Lust mehr gehabt, mit Louise weiterzugehen. Die Idee, sich beim See zu treffen, wo sie entspannt im Restaurant essen und vielleicht übernachten konnten, war nicht so schlecht. Oder doch schlecht, eine Gemeinheit? Er wusste es nicht, glaubte, dass ihre Idee entweder ausgesprochen gut oder eine bodenlose Frechheit war. Er überlegte, Louise hinterherzulaufen, ihr von hinten, von oben zuzurufen, sie solle auf ihn warten, er komme mit.
Sollte er umkehren? Etwas in ihm, eine emotionale Seite, sagte Ja, doch sein Verstand war dagegen. Louise durfte mit ihrer Totalverweigerung keinen Erfolg haben, schließlich hatte er sie bei der Planung in Berlin gefragt, ob sie diese Wanderung machen wollte. Und dass sie in der Nacht hinter seinem Rücken die Trennung vorbereitet hatte, um ihn dann vor vollendete Tatsachen zu stellen, schmerzte ihn. Vor allem das. Das war die eigentliche Kränkung.
André ging weiter. Die Kühle des Felsens, die ihm in Gesellschaft von Louise eine angenehme Erfrischung gewesen war, empfand er nun als bedrohend. Der Geruch des Steins bot keinen Trost; er erinnerte an die sterile Brutalität eines Operationssaals. Die Feuchtigkeit am Boden glich dem Moder in einem alten Sarg.
Wie viel lieber wäre er diesen Weg mit Louise gegangen, hätte sie hinter sich gewusst, ab und an ihre Stimme gehört, ihr Gesicht sehen können. Er fühlte sich auf einmal allein, als bezog sich die Trennung nicht bloß auf die Wanderung, sondern auf ihre Beziehung. Er schniefte. Halb gehend, halb kletternd, kam er sich vor, als sei er wieder wie
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