Niedertracht. Alpenkrimi
werden. Er holte sein eigenes Telefon heraus und wählte die Nummer von Alois Schratzenstaller.
»Wie sieht es aus?«
»Ich habe noch keine Verbindung zu der Kleinen.«
Swobodas gute Laune verflog sofort.
»Keine Verbindung? Was soll das heißen? Sonst hat es doch auch nicht länger als eine halbe Stunde gedauert.«
»Ich tu mein Möglichstes. Ist denn das Spielzeug auch wirklich von dem Mädchen?«
»Sag einmal: Hältst du mich für blöd, Schratzi? Wir machen es jetzt so: Ich schicke den Jennerwein ein Weile im Ort herum, innerhalb der nächsten halben Stunde aber brauche ich die Koordinaten. Kannst du mir eine SMS schicken?«
»Warum soll ich das nicht können?«
»Du bist über fünfzig, du hast viel zu dicke Finger, du bist mit den modernen Kommunikationsmitteln nicht so vertraut –«
»Bussi, Swoboda, ich mag dich auch.«
Swoboda legte auf. Jennerwein war ein guter Mann. Und doch war er auf einen uralten Pokertrick hereingefallen, auf einen Bluff der primitivsten Sorte: Völlig wertlose Karten auf den Tisch werfen und ein Full-House-Gesicht dazu machen – manchmal funktionierte das. Als Swoboda den Satz
Ich weiß von deinem kleinen Geheimnis
gesagt hatte, war es durch das Telefon fast körperlich zu spüren gewesen, wie der Kommissar zusammengezuckt war. Swoboda hatte natürlich keine Ahnung von solch einem kleinen Geheimnis, aber er musste mit dem Satz etwas Größeres getroffen haben. Swoboda musste unbedingt hinter dieses Geheimnis Jennerweins kommen. Denn solch ein ausgezeichneter Polizist, wie es der Hauptkommissar war, würde irgendwann in den nächsten Jahren ganz sicher Polizeirat werden, später Polizeioberrat, Polizeipräsident, Staatssekretär im Innenministerium, schließlich Beauftragter der Bundesregierung für Bandenkriminalität. Swoboda blickte hoch. Über ihm kreisten die Hubschrauber, die Fahndung war in vollem Gang, sie schien aber offensichtlich nicht zum Ziel zu führen. Das war doch ein Skandal, dass so ein Idiot, so ein perverser, ein derart gutes Versteck finden konnte! Er hoffte inbrünstig, dass ihm Schratzenstaller die Koordinaten rechtzeitig durchgab. Wenn nicht, konnte dies bloß eines heißen: Das Mädchen war in einen geschlossenen Raum gesperrt worden. Und dann würde das Aufspüren wesentlich länger dauern, vielleicht sogar lebensgefährlich lang.
Jennerwein kochte vor Wut, er schäumte über vor Zorn, aber er beherrschte sich. Ihm blieb keine andere Wahl, als auf das Angebot des Holländers einzugehen. Klar, es gab Kennworte im Revier, die in solchen Situationen genannt werden konnten.
Fridolin
hieß, dass man sich in Gefahr befand,
Bacchus
bedeutete, gerade nicht frei sprechen zu können. Wenn man hingegen den Namen
Astrid Lindgren
fallen ließ, hieß das, dass man gegen seinen Willen verkabelt worden war. Die Chiffre für die Situation, in die Jennerwein momentan geraten war, hieß
Märchenprinz
, doch Jennerwein hatte sich dazu entschlossen, sein Team nicht in die Sache hineinzuziehen. Das, was er jetzt vorhatte, war vermutlich mit den Dienstvorschriften nur schwer in Einklang zu bringen. Die Fahndung mit den Hubschraubern lief auf Hochtouren, alle verfügbaren Kräfte arbeiteten an der Koordination, er wurde hier so gebraucht wie der Seniorchef einer Weltfirma bei einer Strategiebesprechung.
»Ich muss eine halbe Stunde weg«, sagte er zu Maria, »bin aber jederzeit telefonisch erreichbar.«
Maria nickte. Jennerwein verließ das Revier und steuerte das Café an, das ihm der Mann mit dem holländischen Akzent genannt hatte.
Swoboda sah ihn schon von weitem, den legendären Kommissar Jennerwein, den unscheinbaren Typen, der jetzt zielstrebig in das gegenüberliegende Tagescafé ging. Er bestellte sich dort ein Glas Wasser, das konnte der Österreicher durchs Fenster sehen, dann stand er auf und ging in Richtung Toilette. Unter dem Waschbecken war der Zettel mit dem nächsten Ziel befestigt. Die Schnitzeljagd hatte vier Stationen, und Swoboda machte sich nicht die Mühe, alle zu verfolgen. Er konnte bereits jetzt, von seinem gemütlichen Platz aus, sehen, dass Jennerwein weder in ein kleines Mikrofon am Hemdkragen sprach noch einen unauffälligen Zivilpolizisten im Schlepptau hatte. Wen auch? Alle Polizeikräfte waren konzentriert auf die Suche nach dem Kind. Apropos Kind. Swoboda warf einen Blick auf das Display seines Telefons. Immer noch keine SMS , langsam wurde Swoboda nervös. Jennerwein trabte jetzt über den Marktplatz. Er blickte
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