Niedertracht. Alpenkrimi
Bezeichnung für einen Mitarbeiter, der für das gehobene Management geeignet erscheint: j ung, o nline, d auerbelastbar, l eistungsorientiert, e heresistent, r isikofreudig
Ein paar hundert Kilometer südlicher trat ein kleingewachsener, smarter und gutgekleideter Mann ans Rednerpult des Konferenzraums und stellte sein Notebook mit einer theatralischen Geste auf den Tisch. Es war ein schmuckloser Konferenzraum in einem ausgesucht hässlichen Bürogebäude am Rande einer italienischen Kleinstadt. Doch der Referent hatte ganz und gar nicht vor, eine der üblichen Powerpoint-Multimedia-Orgien zu veranstalten. Im Gegenteil, er setzte voll auf den altmodischen Zauber des Analogen. Wenn es ihm heute gelänge, die Firma von seinem Projekt zu überzeugen, dann hätte sich das ganze mühsame Recherchieren gelohnt. Dann hätte er allerbeste Chancen, schon als Vierundzwanzigjähriger zum Senior Manager des Distrikts Südeuropa aufzusteigen. Mit Privatchauffeur, Bodyguard und Villa mit Seeblick, wahlweise Alpenblick. Er trank einen Schluck Wasser und blickte in die Runde der steinharten Gesichter des oberen Führungskreises. Ein leerer Platz in der Mitte stach ins Auge. Verflixt, warum war denn ausgerechnet jetzt der Chef noch nicht da? Gleichwohl, dann musste er eben die Präsentation ohne den großen Zampano beginnen. Mit einer ausladenden Bewegung griff er nach dem Notebook auf dem Tisch, er hob es hoch, aber nur, um es gleich wieder bedeutungsvoll beiseitezustellen. Dann ließ er seine Hand wie ein Vögelchen in der Luft herumflattern, um schließlich à la Houdini in die Jackentasche zu greifen. Doch er zog kein Kaninchen heraus, sondern eine kleine Parfümflasche, in der man eine milchige Flüssigkeit erkennen konnte.
»Mein Name ist Luigi Odore«, stellte sich der Referent vor. Es gab Geschmunzel, Geflüster, Gelächter.
»Billiger Gag«, flüsterte die stellvertretende Personalchefin dem Referenten für Öffentlichkeitsarbeit zu. Einige griffen gelangweilt in die bereitstehenden Schälchen mit Salznüssen und zuckerfreien Keksen. Sie beschlossen, sich, so gut es ging, zu amüsieren.
»Warum lacht ihr alle?«, fragte W. W. Brjussow, der russische Gast aus Smolensk.
»Mein lieber Wassili Wladimirowitsch«, sagte sein Nachbar, »
odore
bedeutet im Italienischen
Duft
, aber auch
Gestank
.«
Der Mann aus Smolensk lachte immer noch nicht. Luigi Odore, der sonderbare Referent, stellte das Fläschchen auf den Tisch und beschrieb einen magischen Halbkreis darum.
»Dieser Flakon, meine Damen und Herren, enthält keine Bits und Bites, keine Excel-Tabellen, keine Pixels und hochauflösenden Graphiken, er enthält etwas weitaus Altmodischeres, nämlich nichts weiter als – Duft. Odore. Geruch. Aroma. Odeur. Dunst. Schmeckschmeck. Wie Sie wollen. Kleine Moleküle, die auf Geruchsrezeptoren wirken, wie das schon seit Millionen von Jahren geschieht. So einfach ist das. Analoger geht es nicht mehr.«
»Was ist das für ein Knallkopf?«, fragte Rocco ›Joe‹ Manzini aus dem Geschäftsbereich
Drugs & Arms Trade
.
»Er ist der Neffe von Respighi«, antwortete sein Nachbar.
»Ach so ist das«, raunzte Manzini seufzend und schüttete sich einen ganzen Becher Erdnüsse in den Mund.
»Bei meinem Projekt, das ich Ihnen nun vorstellen will«, fuhr Luigi Odore unbeirrt fort, »geht es ebenfalls um etwas, was man anfassen, schmecken und riechen kann. Der Geist, der in dieser Flasche gefangen gehalten wird, ist analog. Er kommt ohne Programmiersprachen, Softwarepatente und Speicherkapazitätsbeschränkungen aus. Wenn ich ihn befreie, dann wird er hinausschweben in die Welt, viel Geld einsammeln und es der Firma in den Hof schütten.«
»Mann, könntest du deine Uzi nehmen und ihm das Fläschchen verletzungsfrei aus der Hand schießen?«, fragte Cesare Capecchi seinen Leibwächter.
Trotz aller Unkenrufe spürte Luigi Odore, dass sie angebissen hatten, die ehrenwerten Mitglieder des oberen Führungskreises. Man hatte den Managern am Vormittag so viele Business-Begriffe um die Ohren geschlagen, dass ihre Köpfe immer noch glühten. Sie hatten lernen müssen, was Projektstrukturpläne sind, Produktentstehungsprozesse, Six-Sigma-Levels und ähnliche sprachliche Folterinstrumente des real existierenden Kapitalismus, die der ermüdenden Terminologie eines SED -Parteitags in nichts nachstanden.
»Lass den Geist aus der Flasche, Luigi«, sagte der Ressortleiter
Money Laundering
, Dominico Prozzi.
»Das habe ich gerade vor«, erwiderte
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