Niedertracht. Alpenkrimi
Odore und tippte die Flasche vorsichtig an, als wollte er den Dschinn, von dem zu vermuten stand, dass er ein paar tausend Jahre geschlafen hatte, möglichst sanft wecken. »Wir leben in einer fast gänzlich elektrifizierten Welt. Das ist ein Gemeinplatz. Jegliche Art von digitalen Signalen kann durch ebensolche Mittel aufgespürt werden, das scheinbare Nichts der Algorithmen und Zahlenpakete hinterlässt die größten Fußstapfen.«
Er blickte stolz in die Runde.
Das scheinbare Nichts der Algorithmen
– an dieser Metapher hatte er lange gearbeitet.
»Jede SMS , die man verschickt«, fuhr er fort, »jedes Smiley, das man ins Netz tippt, hinterlässt Spuren, die nicht mehr zu verwischen sind. Ich sehe hier zwanzig Notebooks eingeschaltet, das sind zwanzig Fährten, die zu Ihnen führen, meine Damen und Herren. Und Sie, verehrter Dottore Castiglione – können Sie mit absoluter Gewissheit ausschließen, dass irgendwo am anderen Ende der Welt – vielleicht auch bloß im Nebenzimmer – ein Dr.Mabuse, ein Big Brother sitzt, der Sie beobachtet und der weiß, dass Sie sich hier befinden – und nicht in Ihrem Staatsanwaltsbüro in Rom?«
Dottore Castiglione lächelte ein unsauberes, dünnes Lächeln.
»Digitale Kommunikation ist unsichere Kommunikation«, fuhr Luigi fort. »Die Schaffung diskreter Kanäle, wie wir sie so oft brauchen in unserer Branche, wird durch den Vormarsch des binären Codes immer schwieriger. Eigentlich langsam unmöglich. Will ich heute wissen, wo sich der kanadische oder serbische Wirtschaftsminister befindet, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen enormen digitalen Aufwand zu treiben, der über kurz oder lang entdeckt werden muss. Es ist ein Wettlauf zwischen Hase und Igel: Wir entwickeln eine neue Technik, der Gegner entwickelt kurz darauf eine bessere.«
Odore machte eine Pause. Alle blickten zur Tür, denn niemand anderes als der Padrone war hereingekommen. Endlich, dachte Luigi. Alle verneigten sich leicht. Manche standen auf und verbeugten sich. Sie hatten es vermutlich dringend nötig. Rocco ›Joe‹ Manzini eilte dem Padrone sogar entgegen, es fehlte nicht viel, und er hätte sich auf den Boden geworfen. Manzinis Geschäfte liefen nicht mehr so gut, er hatte teure Hobbys, er war pleite.
»Mach weiter, Luigi, mach weiter«, sagte der Padrone mit heiserer Stimme. »Ich höre dir zu, fahre fort.« Zwei Kleiderschränke, denen die Bleispritzen links und rechts wegstanden, stützten ihn und führten ihn zu dem freien Platz. Der Padrone setzte sich, und augenblicklich wurde ihm ein dampfender Teller Nudeln mit aromatisch riechender Sauce serviert. Die Marotte des Padrone war es, altmodisch zu sein. Kein Mitglied der Familie ließ sich heutzutage noch Spaghetti zu Besprechungen servieren. Padrone Spalanzani jedoch war ein großer Verehrer von Marlon Brando und vor allem von Don Vito Corleone, er hatte sich folgerichtig auch dessen heisere Stimme angewöhnt. Er hörte Opern von Puccini, rauchte kubanische Zigarren und trug Zahlen handschriftlich in riesige Kladden ein.
»Gott schütze Sie und Ihren Appetit, Padrone Spalanzani«, sagte Odore stilsicher. »Sie kommen gerade im richtigen Moment. Ich werde jetzt die Büchse der Pandora öffnen und den Geist aus der Flasche lassen.«
Der Padrone gabelte, kleckerte und schmatzte, gleichzeitig hörte er Luigi interessiert zu. Das war gut,
er
musste überzeugt werden, er war schließlich der eigentliche Geldgeber.
»Das Wissen, wo sich wichtige Persönlichkeiten aufhalten, an welchen Orten und mit welchen Personen, ist eines unserer Kernkompetenzen. Keine Ortung – keine Geschäfte.«
»Ist der Käse wirklich aus Parma?«, fragte der Padrone.
»Gesucht wird also ein Navigationssystem«, fuhr Odore fort, »das zeigt, wo sich bestimmte Personen auf der Welt befinden, ohne dass sich die Objekte bewusst sind, dass sie erfasst worden sind, und ohne dass wir in den üblichen digitalen Wettlauf eintreten.«
Der Key-Account-Manager der Abteilung
Liquidations
, ein Schwager des Padrone, dessen Namen niemand wusste, mischte sich ein.
»Da hat er recht. Das ist genau das Problem in unserem Geschäft. Das Aufspüren der Person hinterlässt eigentlich immer Spuren. Und da wird die Polizei auch meistens fündig.«
Luigi Odore nickte. Er öffnete das Fläschchen und schüttelte es leicht. Er hielt es hoch und sagte nichts. Alle schnupperten.
»Riechen Sie es schon, verehrte Mitglieder der Familie? Das ist der Duft eines reifen
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