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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Feigenkaktus. Er zieht Insekten in einer Entfernung von bis zu hundert Kilometern an.«
    »Eine Frechheit«, sagte Charly Stretto, zweiter Bereichsleiter der Abteilung
Trade in human beings
. »Um das zu hören, bin ich aus Chicago hierhergeflogen.«
     
    Statt einer Antwort öffnete Luigi das Fenster. Innerhalb von einer Minute war das geöffnete Fläschchen umschwirrt von drei Dutzend Insekten. Eine davon ließ sich durch den Duft der Spaghetti ablenken und umschwirrte den Teller. Der Padrone verjagte sie mit einer lässigen Handbewegung. Alle beugten sich vor, um das kleine Spektakel besser betrachten zu können.
    Luigi Odore, der Neffe des großen und unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Paolo Respighi, jetzt Hüter des Duftgrals, lächelte.
    »Es handelt sich um Kriebelmücken. Sie haben einen weiten Weg hinter sich. Sie schnuppern an dem Kaktussaft, nehmen Proben, machen sich ein Bild von der Umgebung, dann fliegen sie zurück und melden es den anderen Millionen Kriebelmücken in ihrem Staatenschwarm. Sie melden die Menge des Stoffes, die Qualität der Ware, die Erreichbarkeit des Fundplatzes, die Schwierigkeiten beim Hin- und Herweg und vieles anderes mehr. Wenn wir die Sprache verstehen, in der sie das weitergeben, sind wir ganz nahe an einem biologisch-analogen Ortungssystem.«
    Odore nahm das Fläschchen, ging von Tisch zu Tisch und hielt es den Anwesenden unter die Nase. Sie verstanden das Prinzip noch nicht so richtig, manche blickten noch misstrauisch, abweisend und gelangweilt. Ein Spinner. Odore, der nur eine Chance hatte, weil er ein Respighi war. Aber war nicht sein Onkel Paolo auch so ein Wirrkopf gewesen?
    »Wenn die Insekten unterwegs getötet werden?«
    »Dann starten neue Mückenpioniere, die diesen Duft suchen. Der individuelle Tod spielt bei Insekten keine Rolle.«
    Das ist ja wie bei der Mafia, dachte Vittoria Tognozzi, Leiterin des Bereichs
Explosives & Assaults
.
    »Wenn das Fenster nicht geöffnet wird?«
    »Die Tiere finden ihren Weg.«
    »Wenn es Winter ist?«
    »Es gibt Züchtungen, denen Kälte nichts ausmacht.«
    Es gab noch viele Fragen, Luigi Odore beantwortete sie geduldig.
     
    Abermals ging die Tür auf, ein paar muskulöse Bodyguards kamen herein und servierten den schrecklich schlechten Kaffee, der zur Business-Community gehört wie deren Glaube an die Kraft des Kapitals. Doch auch in dieser Beziehung wurde für den Padrone eine Ausnahme gemacht. Er bekam als einziger wohlriechenden Espresso, den ihm Signora Caterina im Nebenzimmer gebrüht hatte, nach einem alten Familienrezept: mit einem Körnchen Salz aus den Salinen von Trapani und einer Spur Kokain. Dazu gab es französisches Mineralwasser, fast drogenfrei.
    »Das Projekt ist genehmigt«, sagte Padrone Spalanzani. »Gebt ihm, was er braucht. Aber der Käse ist nie und nimmer aus Parma. Vielleicht aus Medesano. Oder gerade noch aus Fornovo di Taro. Aber auf gar keinen Fall aus Parma.«
    Luigi Odore schraubte das Fläschchen mit dem Kaktussaft wieder zu und steckte es in die Jackentasche. Und jetzt erst lachte Wassili Wladimirowitsch Brjussow aus Smolensk.
    »Warum lachst du?«, fragte ihn sein Nachbar.
    »Das ist gut!«
    »Was ist gut?«
    »Das mit dem Käse!«, sagte Wassili Wladimirowitsch Brjussow in dem breiten, schleppenden Russisch, das man nur in der Gegend von Smolensk sprach. Es klang dadurch wie ein Mordauftrag.

12
    Wir wolln den Herrn lo-hoho-ho-hoho-hohoho-hohoho-ho-ho-hohoho-ho-ho-ho-ho-ben!
    Johann Sebastian Bach, Passionsjodler
    Kommissar Jennerwein nutzte die Mittagspause, um frische Luft zu schnappen. Er trat aus dem Polizeirevier und ging die kleine Straße entlang, auf der er sich schon einmal eine heiße Verfolgungsjagd mit einem obskuren Verdächtigen geliefert hatte. Er musste lächeln. Das war vor zwei Jahren gewesen, bei seinem ersten Fall hier im Kurort, und am Ende waren er und Maria Schmalfuß auf einem Misthaufen gelandet. Es war eine schlammige Umarmung gewesen damals, ein außergewöhnliches Stelldichein, ein nachhaltig duftendes Tête-à-tête – und an polizeiinternem Spott darüber mangelte es nicht. Jennerwein ging direkt auf die scharfkantige, ägyptisch pyramidale Alpspitze zu, aber das tat man eigentlich immer hier im Kurort. Er schlenderte die Straße mit dem Namen eines ihm unbekannten Berges entlang, so etwas wie Grüttelspitzkopfzackenstraße, blieb vor einem Schaufenster stehen und sah zerstreut hinein, ohne recht zu wissen, was das für ein Geschäft war. Drinnen

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