Niedertracht. Alpenkrimi
es ein verbilligtes ist? Ist das vielleicht das Werdenfelserische an dem Weckerl?«
»Nein, das ist ein Weckerl im Sonderangebot, da gebe ich Ihnen nur fünfzig raus. Eins kostet sechzig, auch wenn Sie der Bürgermeister selbst wären!«
»So kriegst du keine Wählerstimmen zusammen, Harrigl!«, rief einer ganz hinten in der Schlange.
»Auf deine Stimme ist sowieso gepfiffen«, sagte Harrigl, ohne sich umzudrehen.
»Erfroren wird er halt sein da droben. Richtiges Bergzeug hat er ja auch nicht angehabt, hört man. Und in der Höhe wird es saukalt in der Nacht.«
»Erfrieren ist, glaub ich, das schlimmste überhaupt.«
»Ich bin schon einmal fast erfroren«, mischte sich der Laiblbauer Kaspar ein. »Im harten Winter 1974/75.«
Die wahre Geschichte war die, dass der Kaspar sturzbetrunken von der Enningalm gekommen war und am Wegrand liegengeblieben ist. Und im Übrigen war der Winter 1974/75 gar nicht so hart. Man ließ den Laiblbauern aber reden. Er hatte daheim wenig zu sagen.
»Oder ertrinken«, sagte die Drogeriefachverkäuferin. »Ertrinken ist auch nicht lustig.«
»Am besten, der Herzkasperl erwischt dich«, sagte der Malergeselle Pröbstl. »Das ist immer noch das ehrlichste.«
Die Flatliner-Gespräche streiften noch die Themen des Erhängens, Erwürgens, Erstechens, Erstickens, Abstürzens – und erstaunlich viele hier kannten jemanden, der schon einmal auf diese oder jene Weise zu Tode gekommen war.
Achtzehn Leute in der Schlange.
»Aber wissen Sie was«, sagte die Verkäuferin und legte die Münzen wieder auf die Theke, »jetzt nehmen Sie die zwei Weckerl, Herr Gemeinderat, die gehen aufs Haus.«
»Nein, ich möchte nichts geschenkt, ich zahl meine Sachen schon. Wie schaut denn das aus, wenn ein Gemeinderat was umsonst kriegt! Das schaut ja voll nach Siemens aus.«
»Dann zahlen Sies halt.«
»Ja, aber dann zahl ich bloß fünfundfünfzig für die Semmel – die Hälfte.«
»Gut, dann zahlen Sie halt fünfundfünfzig, und die restlichen fünf Cent schenke ich Ihnen.«
»Das will ich aber nicht. Ich will nichts geschenkt.«
»Kennen Sie die Geschichte vom Michael Kohlhaas?«, fragte der Apotheker Blaschek die Dame vor ihm in der Schlange.
Der Disput wäre noch den ganzen Tag so weitergegangen, wenn nicht der Bäcker selbst, Johannes Krustmayer, von der Backstube heraufgekommen wäre.
»Servus Harrigl, hast du meine neue Kreation gesehen?«
Krustmayer hielt einen kleinen Rucksack hoch. Zweiundzwanzig Leute in der Schlange.
»Was ist das?«
»Ich nenne es
Krustis Not-Sackerl
. Ein Rucksack mit dem gesammelten Backwerk der Bäckerei Krusti. Damit kommst du zwei Wochen durch. Ich schenk ihn dir, Harrigl.«
»Der nimmt heute nichts«, sagte die Verkäuferin. »Der Nächste bitte. Wir haben heute Werdenfelser Weckerl im Angebot.«
16
Er
(schwer atmend)
Endlich! Der Gipfel!
Sie Kolossaler Ausblick.
Er Jodler genehm?
Sie Durchaus angemessen.
Er
(singt)
Holldri-jo!
Sie Chapeau!
Er Zügiger Abstieg?
Sie
(erfreut)
Bon.
Carl Sternheim, Dramatischer Nachlass, Entwurf für das Drama »Die Lederhose«.
In Filmen sieht es immer leicht und elegant aus. Wie herrlich tanzen Bud Spencer und Terence Hill in
Zwei wie Pech und Schwefel
das Prügel-Ballett, wie selbstverständlich schlägt Brad Pitt in
Fight Club
auf Edward Norton ein und wie zielsicher schickt John Wayne die Banditen reihenweise auf die Bretter des schmierigen Kneipenbodens!
So unkompliziert wie in den Filmen funktioniert es natürlich im wirklichen Leben nicht. Der Putzi hatte diese Erfahrung gleich mit seinem ersten Schlag machen müssen, den er im Frühjahr bei seinen Vorbereitungen gewagt hatte. Seine damalige Versuchsperson, ein junger, argloser Mann, an dem er den Schlag testen wollte und mit dem er ein paar bewundernde Worte über die Schönheiten der Werdenfelser Natur im wechselhaften April getauscht hatte, blickte ihn nach seinem Fausthieb verblüfft an. Der Schlag war mittelhart gewesen, kurz und ansatzlos, der Putzi hatte das zu Hause am Sandsack oft geübt. Der junge Mann taumelte, dabei griff er sich an den Unterkiefer, an die Stelle, wohin der Putzi gezielt, aber eben nicht ordentlich getroffen hatte. Er hatte sich eigens einen Lederriemen um die Faust gewickelt, einen Ristschutz, wie er ihn in irgendeinem Film mit Bruce Lee gesehen hatte, doch der Schlag hatte das Opfer nicht betäubt. Das musste zu Hause unbedingt noch einmal geübt werden, das durfte im Ernstfall nicht passieren. Der junge
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