Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
Honigsammlerinnen, an herrliches Summen in der Luft, Blütenpracht auf grünen Wiesen, an Frühlingsgefühle und erwachende Liebe. Was ist aber in Wirklichkeit los? Die Arbeitsbereiche in einem Bienenstock sind streng geregelt. Da gibt es Brutpflegerinnen, Putzerinnen, Heizerinnen und alles Mögliche sonst. Die Honigsammlerinnen jedoch sind alte Tiere in ihrem letzten Lebensabschnitt. Was wir im Frühjahr sehen, sind die Senioren unter den Bienen.«
    »Wegen der Erfahrung? Wegen der Verantwortung?«
    »Das sicherlich auch, ja. Der Hauptgrund aber ist der, dass für die gefährliche Aufgabe keine jungen Tiere verwendet werden. Neunzig Prozent der Bienen sterben außerhalb des Stocks. Das wäre so, wie wenn wir nur alte Leute in den Krieg schicken würden.«
    »Wehrpflicht ab fünfundsechzig. Ein interessanter Gedanke.«
     
    Der Ex-Imker war mit großem Ernst bei der Sache. Odore, das musste Swoboda zugeben, hatte den richtigen Mann ausgewählt.
    »Jetzt aber zu der Entdeckung meines Vaters«, sagte Schratzenstaller. »Der Schwänzeltanz der Bienen ist dir ein Begriff?«
    »Das lernt man in der Schule«, sagte Swoboda, »selbst in Österreich. Soweit ich mich erinnere, ist es so, dass eine Sammlerin, die eine gute Futterstelle gefunden hat, zum Stock zurückfliegt und den anderen den Weg vortanzt, wie man da hinkommt.«
    »Verkürzt ausgedrückt ist das richtig. Habt ihr aber in der Schule auch gelernt, dass schon Aristoteles darüber geschrieben hat? Und dass er vermutet hat, dass auch andere Insektenarten diesen Tanz veranstalten? Der alte Grieche ist bei seinen Forschungen nicht weiterkommen, mein Vater allerdings schon. Mein Vater hat hier im Werdenfelser Land eine Stechmückenart gefunden, die durch den Schwänzeltanz Informationen weitergibt. Es ist eine Abart der bekannten Kriebelmücke. Sie hat noch gar keinen wissenschaftlichen Namen. Man könnte sie
Archicnephia schratzenstalleri
nennen: zwei, drei Millimeter groß, staatenbildend, saugend.«
    »Kriebelmücken, die kenne ich. Das sind doch diese lästigen Zeitgenossen, die so klein sind, dass man sie mit bloßem Auge gerade noch erkennt.
Kratzhutscher
heißen sie bei uns. Sie fallen bloß auf, wenn sie als Schwarm über einem Teich stehen. Auch den Stich spürt man fast nicht. Man muss schon genau aufpassen, dass man was spürt. Und hauptsächlich stechen sie in den Nacken.«
    »Ja, Kriabla oder Kreibler, Kratzhutscher oder Kriebelmücken, das ist ganz egal. Die Männchen dieser Mücken ernähren sich vegetarisch, die Weibchen hingegen brauchen für die Entwicklung der Eier Blut von Säugetieren, und zwar Blut von stressfreien, gesunden Tieren. Sie bilden Schwärme, auf Futtersuche gehen aber nur die Kundschafter. Wenn sie zurückkommen, setzen sie sich auf glatte Flächen wie Steine oder Blätter und tanzen den Tanz, auf den sich unser Hauptaugenmerk richtet. Komm einmal mit.«
     
    Auf Schratzenstallers Geheiß hin schlüpften beide in wallende Insektennetze. Sie gingen durch den verwilderten Garten in das Gewächshaus. Im hinteren Teil befand sich das Labor, das Insektarium, das man nur durch eine gesicherte Schleuse betreten konnte.
    »Die Mücken haben ebenfalls eine Schleuse, sie können ein- und ausfliegen, wann sie wollen.«
    Im Insektarium selbst roch es feucht und dumpf, fast modrig. Es waren viele, komplizierte Gerätschaften aufgebaut, die frische, meeresbrisenartige Luft in den Raum bliesen. Der alte Schratzenstaller hatte hier einen künstlichen Teich angelegt, über dem der Schwarm schwebte, ein fliegender Staat, eine zementsackgroße Zusammenballung von winzigen, wabernden und zuckenden Körpern.
    »Wie viele sind das?«
    »Zwanzig- oder dreißigtausend werden es schon sein.«
    »Und wenn die sich jetzt alle auf einmal auf unser Genick –«
    »Keine Angst, die sind auf andere Genicke programmiert, sozusagen. Und auf die Pflanzen, die hier rumstehen. Du siehst, dass für die Männchen reichlich gesorgt ist. Hier steht ihre Lieblingsspeise, ein Kaktus. Die Weibchen aber brauchen Blut, und das holen sie sich von außerhalb. Da schau her.«
     
    Schratzenstaller wies auf einen glatten Stein. Darüber war eine große, bewegliche Glaskugel angebracht, die man auf den ersten Blick für eine exzentrische Dekoration gehalten hätte.
    »Was ist das?«
    »Eine Schusterkugel. Besser als jedes Mikroskop.«
    Swoboda warf einen Blick in das archaische Vergrößerungsglas, das seinen Zweck jedoch bestens erfüllte, denn auf der ebenen Steinfläche war das

Weitere Kostenlose Bücher