Niedertracht. Alpenkrimi
Felsnadel ebenfalls sperren sollen«, sagte Nicole.
»Ich weiß nicht, ob wir dann was gefunden hätten. Der Täter praktiziert das Opfer in die Wand, dann bezieht er Stellung. Wenn er in der Wand schon keine Spuren hinterlässt, dann wird er auf seinem Beobachtungsposten auch nicht gerade seine Telefonnummer hinterlassen.«
»Der Meinung bin ich auch«, sagte Jennerwein. »Denken Sie alle bitte daran: Unsere oberste Priorität ist es, zukünftige Taten zu verhindern. Wir müssen jetzt Orte im Gelände suchen, die Folgendes gemeinsam haben: ein Kletterfels, in dessen Nähe ein Wanderweg vorbeiführt; eine Wand, die eine Nische enthält, in der sich das Opfer schreiend nicht bemerkbar machen kann; drittens eine Wand, die einen gegenüberliegenden Beobachtungsposten bietet.«
»Ganz spontan würde ich sagen, dass es nicht viele solcher Stellen geben kann«, sagte Ostler. »Aber ich kann mich täuschen.«
»Stengele, Sie sind der Bergkundigste. Ostler, Sie sind der Ortskundigste«, sagte Jennerwein. »Sie beide nehmen sich Karten vor und markieren die Stellen, die diese drei Bedingungen erfüllen.«
»Darf ich eine Theorie einbringen«, sagte Nicole Schwattke. »Wir haben einen Typen, der Wanderer anspricht und in die Wände praktiziert. Dann beobachtet er sie. Dabei haben wir ihn jetzt gestört, indem wir ermitteln. Könnte es nicht sein, dass er jetzt aufhört? Er kann doch jetzt keinen Wanderer mehr ansprechen. Das ist viel zu gefährlich.«
»Das ist richtig, Nicole. Wir können aber nicht ausschließen, dass er noch mehr Opfer ausgesetzt hat. Wenn das so ist, müssen wir die auf jeden Fall finden. – Maria, wie steht es mit Ihnen? Haben Sie neue Erkenntnisse bezüglich des Inhalts der Rucksäcke?«
Jennerwein war in Fahrt gekommen. Maria wusste nicht, ob er nur so tat, als ob er ihr kleines Yijing-mu-Nickerchen nicht bemerkt hatte. Sie hatte natürlich keine neuen Erkenntnisse. Aber sie wollte sich vor Jennerwein auch keine Blöße geben. Sie stand auf, ging zu einem Regal, suchte ein bisschen herum, fand dann ein Winkeleisen, das von der Kaffeemaschine abgebrochen war. Sie legte es auf den Tisch.
»Was halten Sie davon? Was ist das?«
Misstrauisch und verwundert beäugten die Beamten das undefinierbare Eisenteil. Sie wussten nicht so recht, worauf Maria hinauswollte.
»Sie überlegen jetzt, was das für ein Gegenstand sein soll«, sagte Maria nach einiger Zeit. »Wenn ich zum Beispiel einen Bleistift hierhergelegt hätte, hätten Sie ihn nicht weiter beachtet und mich gleich für verrückt erklärt. Bei diesem undefinierbaren Gegenstand aber strengen Sie alle Ihr Hirnschmalz an. Was ist das? Was hat das mit dem Fall zu tun? Wo habe ich das schon mal gesehen? Und in den Rucksäcken befinden sich viele solcher Gegenstände. Unnütze Dinge, bergsteigerisch unbrauchbar, fürs Überleben ungeeignet. Und genau deshalb, weil sie so unnütz sind, halten sie das Opfer in dieser aussichtslosen Situation auf Trab. Weil es überlegt, ob ein tieferer Sinn, ein System, ein Plan dahintersteckt.«
»Also sozusagen eine Art von – äh – Spielzeug, das von der schrecklichen Lage ablenken soll?«
»Und das dadurch ein kleines bisschen Hoffnung gibt. Nur ein Beispiel: Man denkt darüber nach, ob die scheinbar sinnlosen Gegenstände nicht einen Hinweis auf die Person geben, die einen hierhergebracht hat.«
»Das ist ein guter Gedanke«, sagte Jennerwein. »Er ist ein Spieler?«
»Ja, er will sie geistig fit halten. Sie sollen nicht aufgeben zu hoffen. Er braucht ihre geistige Fähigkeit noch für irgendetwas. Für einen Plan. Für eine Entscheidung, die sie treffen sollen.«
»Gut, aber warum hat er dafür lauter alten Plunder ausgewählt? Diesen Effekt könnte er doch mit neuen Sachen besser erreichen. Außerdem sind sie leichter zu beschaffen.«
»Dafür habe ich auch keine Erklärung«, sagte Maria.
»Es ist Plunder vom Flohmarkt«, sagte Hölleisen. »Wenn man Ihre Theorie weiter denkt, Frau Doktor: Die Opfer sollen gezwungen werden, sich gerade darüber Gedanken zu machen, warum das lauter alter Plunder ist. Ihre Aufmerksamkeit soll vielleicht in die Vergangenheit gelenkt werden.«
»Nein, das glaube ich nicht«, schaltete sich Nicole ein. »Ich denke, das mit dem alten Plunder hat ganz prosaische Gründe. Bei solchem Zeug verlieren sich die Spuren leichter. Denken Sie nur an das Rosenkranzkästchen. Der Weg von Münster bis hierher ist auch von hundert Hansjochen Beckers nicht mehr zu
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