Niedertracht. Alpenkrimi
Aktion –«
Toni Harrigl war gerade dabei, das Gewaltmonopol des Staates etwas anzukratzen. Vielen gefiel das. Langsam war durchgesickert, dass der Täter nicht etwa ein Fremder war, ein afghanischer Radikalterrorist zum Beispiel. Es musste sich vielmehr um einen Einheimischen handeln, weil er sich in der Gegend gar so gut auskannte. Er konnte auch kein durchgedrehter Irrer, kein outgeburnter Psycho sein, dazu ging er viel zu planvoll und zielstrebig vor.
»Die Polizei tut, was sie kann«, sagte Toni Harrigl. »Aber was kann sie?«
Auf diesen rhetorischen Kniff, die
Epanalepsis
, eine Figur, die schon die alten griechischen Redner einsetzten, war Harrigl sehr stolz, nach seiner kleinen Bäckerei-Krusti-Epanalepsis machte er eine Kunstpause und kostete sie aus. Alle nickten, viele murmelten nachdenklich: Ja, was kann sie schon, die Polizei!
»Ich hingegen setze auf Selbstheilungskräfte«, fuhr er fort. »Wir müssen es alleine anpacken. Wir müssen versuchen, diesen Lumpen, diesen ausg’schaamten, der uns da im Fleisch sitzt wie eine Laus im Pelz, selbst zu entfernen. Seien wir doch ganz ehrlich: Wer kennt denn jeden Stein im Umkreis von zehn Kilometern? Das sind keine eingeflogenen Hauptkommissare aus der Stadt, keine Allgäuer und Recklinghäuser Zugereisten und Hergeschmeckten, keine studierten Polizeipsychologinnen, sondern doch nur wir selber!«
»So ist es!«, hörte man aus allen Ecken.
Sofort meldeten sich einige Tapfere, und es wurde gar nicht lange nach einem Lohn gefragt. Das lauwarme Gefühl, das einem den Rücken hinunterläuft, wenn man etwas für die Heimat tun konnte, war Lohn genug. Vorerst wenigstens.
»Also, das war so«, sagte der Hausmeister Mehl zu den Umsitzenden an einem kleinen Tischchen. »Ich habe seit Jahren schon auf so einen Moment gewartet. Weil ich gewusst hab, dass so ein Schlamassel einmal passiert. Ich höre Geräusche unten im Kursaal, ich denk gleich an Bilderdiebe, die die wertvollen Ölgemälde vom Wotzgössel krampfeln wollen. Ohne an mich und meine Gesundheit, an meine Familie und an die Zukunft zu denken, lange ich nach dem Stichmesser auf meinem Nachtkastel und stürze hinunter. Einer von den Eindringlingen steht schon da und will ein Bild herausschneiden aus dem Rahmen. Die schämen sich ja gar nicht, die Bilderdiebe, die rechtsradikalen. Du kommst mir grade recht, habe ich mir gedacht. ›Was machen Sie da!‹ – mit diesen Worten habe ich ihn zur Rede gestellt, den Hallodri, den gräusligen, und er will fliehen. Ich renne ihm nach und bekomme ihn an einem Haxen zu fassen. Es gibt einen Kampf zwischen uns, der sich gewaschen hat. Gut, es ist ein paar Jahre her, aber ich war einmal in der Ringerabteilung vom Turnverein. Ich also: Nelson, Doppelnelson, Spaltgriff, Beindurchzug – wenn man das einmal gelernt hat, hat man es für immer drauf. Ich habe ihn im Schwitzkasten, er kann nicht mehr aus, und ich will gerade mein Handy aus der Tasche ziehen und die Polizei verständigen, da kommen noch andere in den Raum gestürmt, und ich muss den einen wieder auslassen und gegen die entfesselten Kräfte der Dunkelheit kämpfen. Paketgriff, Ausheber, Durchdreher, Übersteiger, seitlicher Aufreißer, amerikanische Wende, Hammerlock – die habe ich ganz schön vermöbelt. Fünf gegen einen ist natürlich viel, aber als die Not am größten war, habe ich einem das Stichmesser in die Schulter gerammt, da sind sie abgehauen.«
Der Hausmeister Mehl nahm einen tiefen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
»Kennen Sie die Geschichte von Don Quixote und den Windmühlen?«, sagte der Apotheker Blaschek zu den Damen, die bei ihm am Tisch saßen.
Toni Harrigl ging im Café herum und notierte die Namen der engagierten Bürger.
»Ja, ich mach auch mit«, sagte der Pöschl Alfred, ein alter Bergführer mit einem ungetrimmten Vollbart bis zur Brust. »Das denkt man gar nicht, dass so etwas bei uns passieren kann. Ich war gestern auf dem Königstand. Wie ich da droben gestanden bin und hinuntergeschaut habe in das friedliche Tal, habe ich es gar nicht glauben können, dass da unten jemand rumschleicht, der solche bösen Gedanken hat.«
Ein alter Quertreiber mischte sich vom Nebentisch aus ein.
»Wenn
ich
da hinunterschaue ins Tal«, sagte der Höhenrainer Hansl und zog ein säuerliches, olympiagegnerisches Gesicht, »dann träume ich davon, ein saudi-arabischer Scheich zu sein, alle Neubauten zu kaufen, abzureißen –«
»– und wieder grüne Wiesen draus zu machen!«,
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