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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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eruieren.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Becker und verneigte sich dankend. »Wenn ich einen Erpresserbrief schreiben will, hole ich mir eine Schreibmaschine vom Flohmarkt, das Papier dazu von einem anderen Flohmarkt. Die Spurensicherung hat kaum eine Chance.«
    »Also gut«, sagte Jennerwein. »Hölleisen, Sie erforschen die Flohmarkt-Szene hier im Ort. Wo sind die Standplätze? Gibt es feste Termine? Kann sich jemand an einen Interessenten erinnern, der zum Beispiel ein Rosenkranzkästchen gekauft hat. Zeigen Sie Fotos von unseren Fundstücken herum.«
    »Mach ich, Chef«, sagte Hölleisen.
     
    »Wir haben noch ein weiteres Problem bekommen«, sagte Jennerwein seufzend. »Gemeinderat Toni Harrigl hat eine Bürgerwehr zusammengetrommelt. Einige durchstreifen die Gegend und belästigen harmlose Wanderer. Es ist auch schon zu Handgreiflichkeiten gekommen. Er wirbt seine Helfer in dieser Bäckerei an und schwingt dort große Reden.«
    »Dann nichts wie hin«, sagte Maria. Sie hoffte, dass Jennerwein die Yijing-mu-Geschichte endgültig vergessen hatte.

33
    Der Komponist Richard Strauss hat in seiner Oper ›Arabella‹ für die Rolle der Fiakermilli einige nahezu unsingbare Jodler komponiert.
    Eintrag im Opernlexikon
    Holger versuchte sich aufzurichten, dabei schnitt ihm die Schnur schmerzhaft ins Handgelenk. Um seine Fesselung wollte er sich später kümmern, erst musste er nachsehen, wo er sich befand. Der katerähnliche Zustand und das Fieber waren zurückgegangen, geblieben waren heftige Kopfschmerzen. Umständlich richtete er sich in einer unbequemen Hocke auf und verlagerte sein Gewicht so, dass er seine Beine nach hinten in die Höhle strecken konnte und mit dem Kopf zur Öffnung hin zu liegen kam. Die Felsnische war gerade so hoch und so breit, um dieses schmerzhafte Manöver durchführen zu können. Endlich lag er auf dem Bauch. Das Seil hatte sich wieder gespannt, es schien elastisch zu sein, es gab ihm noch ein bisschen Spielraum. Langsam robbte er noch ein paar Zentimeter weiter, endlich konnte er einen Blick über den Rand des Felsens werfen. Der Abgrund tat sich gähnend auf, er schloss die Augen und versuchte das Schwindelgefühl in den Griff zu bekommen. Dort hinunter war also der Stein gestern gefallen, unendlich tief, grauenvoll tief. Dort hinunterzusteigen war menschenunmöglich. Er hob den Kopf etwas. Vor ihm breitete sich ein riesiger Talkessel aus, es war die pure, steinige, hässlich schroffe Natur, frei von jeglicher menschlichen Behausung. Keine Hütte, kein Wanderer, keine Freunde, die ein Spruchband hochhielten:
    HALLO HOLGER ! GUTER SCHERZ , NICHT ?
    Wo war er? In einem nepalesischen Bergtal? Er musste sich irgendwie bemerkbar machen. Er musste gegen diese Tiefe anschreien, gegen die Leere anbrüllen. Sein Mund war trocken, die Lippen rau. Er schrie ein paar Mal in das garstige Tal hinunter, in die bleierne Luft hinein, hoch hinauf in den hämatomblauen Himmel, irgendwohin, nach irgendwem. Bereits nach ein paar Rufen wurde ihm klar, dass es sinnlos war. Hier konnte ihn niemand hören. Wieder schloss er die Augen, um sich zu konzentrierten, dann robbte er noch ein paar Zentimeter weiter hinaus. Das Seil schnitt nun bereits äußerst schmerzhaft ins Handgelenk. Aber er konnte jetzt die direkte Falllinie nach unten erkennen. Es war eine Tiefe, wie er sie noch nie im Leben gesehen hatte. Er hatte zu wenig Erfahrung, um die Höhenmeter zu schätzen. Er hatte überhaupt keine Bergerfahrung. Er hatte sich noch nie mit Bergklettern abgegeben, war noch nie auf irgendeinen Berg gegangen. Wieso war er dann hier? In Nepal, in den Pyrenäen – oder sonst irgendwo auf der Welt? Noch ein letztes Mal schrie er nach unten, und das krächzende HILFE ! schien wattig in die Tiefe zu fallen, es schien hinunterzutrudeln und sich irgendwo aufzulösen. Er wiederholte den Schrei, ließ ein paar Sekunden verstreichen, lauschte, ob nicht wenigstens ein schwaches Echo zu hören war. Das Schreien hatte keinen Sinn, er verschwendete damit bloß seine Kräfte. Mühsam drehte er sich auf den Rücken, um nach oben blicken zu können. Als er die Körperdrehung endlich geschafft hatte, bekam er einen Schweißausbruch. Schon wieder drückte ein spitzer Stein in seinen Rücken, er rückte ein Stück zur Seite. Wer um Gottes willen konnte ihm das angetan haben? Er schloss die Augen, er drückte sie fest zu und stellte sich vor, an seinem Schreibtisch zu sitzen. Ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier lag da und ein sauber

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