Niedertracht. Alpenkrimi
skandierten ein paar im Chor, die den Höhenrainer Hansl und seine Gedankenspiele schon kannten.
»Ich dagegen, ich würde alles zubetonieren«, sagte ein junger Mensch, der unter dem Tisch ein abgewetztes Skateboard hin und her rollte. »Wenn ich vom Königstand aus so runterschau in den friedlichen Kurort, denke ich an eine riesige Halfpipe, die man aus dem Talkessel machen könnte. Ich würde alles abreißen und den historischen Ortskern aufs Zugspitzplatt verpflanzen, für die Touristen. Die Loisach unterirdisch weiterführen, damit die Münchner ihr sauberes Wasser weiter kriegen. Dann alles zubetonieren und eine Halfpipe draus machen. Irgendeine Autofirma sponsert das sicher gern, und in zwei, drei Jahren kann man sich den Kurort gar nicht mehr anders vorstellen.«
Gelächter brandete auf in der Bäckerei. Harrigl hasste Gelächter. Er hatte es auch nicht gern, wenn man jemand anderem zuhörte. Er wollte gerade zu einem erneuten rhetorischen Schlag ausholen, da vernahm er hinter sich eine leise, eindringliche Stimme.
»Herr Gemeinderat, dürfte ich Sie einmal kurz sprechen?«
»Aber sicher, was gibts denn?«, sagte der jovial und ohne sich umzudrehen.
»Es ist ja schön, dass Sie sich engagieren, aber wir müssen uns darüber unterhalten, wo die Grenzen sind.«
Jetzt drehte sich Harrigl um, und er schaute so überrascht, wie Robespierre damals am 27. Juli 1794 überrascht war, als er von den Mannen der Nationalgarde verhaftet wurde.
»Ach, Sie sind es, Kommissar. Ich habe Sie gar nicht reinkommen sehen. Was für Grenzen? Ich kenne nur die österreichische Grenze.«
»Ich muss Sie bitten, sich etwas mehr zurückzuhalten. Es sind bei uns schon die ersten Beschwerden eingegangen von Wanderern, die durch Ihre Bürgerwehren belästigt worden sind.«
»Belästigt? Wer unschuldig ist, der hat auch nichts zu befürchten.«
»Es sind schon die ersten Leute tätlich angegangen worden. Ich weise Sie darauf hin, dass Sie für solche Vorfälle verantwortlich gemacht werden können.«
Jennerwein hatte leise geredet, trotzdem hatten die Bäckereibesucher mitbekommen, dass Robespierre in Schwierigkeiten war. Alle hatten mit ihren Gesprächen aufgehört, nur der Hausmeister Mehl sagte in die Stille hinein:
»Bauerngriff, Innenarmklammer, Kopfdurchdreher, Schulterzange – da hamms g’schaut, die Burschen!«
Die Nachmittagspause war zu Ende, viele zahlten, die Anwesenheit der Staatsmacht in Form von Jennerwein und Maria Schmalfuß machte sie überdies ein bisschen nervös. Harrigl war stinksauer, Jennerwein hatte ihm die ganze Anwerbeaktion verdorben.
»Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren«, sagte er. »Weils wahr ist. Wir helfen, wo wir können, wir unterstützen Sie, und Sie haben nichts anderes –«
»Sie unterstützen uns eben nicht. Sie behindern uns. Aber ich will mich nicht weiter mit Ihnen streiten. Beschweren Sie sich bei meinem Chef. Und schildern Sie ihm, was Sie hier so treiben. Der wird begeistert sein.«
Harrigl packte seine Rekrutierungslisten zusammen und rauschte mit hochrotem Kopf ab.
»Trinken wir noch einen Kaffee?«, fragte Maria und wies auf eines der Tischchen. Jennerwein wollte sich schon setzen, da fasste ihn jemand sanft am Arm.
»Darf ich Sie mal allein sprechen, Herr Kommissar?«
»Ach, du bist es. Ja, freilich. Maria, gehen Sie bitte ins Revier und stellen Sie fest, wie weit die einzelnen Teammitglieder schon sind. Stengele und Ostler studieren Landkarten. Hölleisen sucht Flohmärkte ab. Nicole sitzt am Computer und sieht sich die Bilder durch, die an der Greininger-Wiese gemacht worden sind. Rufen Sie bitte sicherheitshalber auch meinen Chef, den Dr.Rosenberger, an und bereiten Sie ihn auf einen Anruf Harrigls vor.«
»Geht klar, Chef«, sagte Maria und trollte sich.
»Und nun zu dir, meine Liebe«, sagte Jennerwein und drehte sich um. »Willst du immer noch Pathologin werden? Oder kommst du vielleicht doch lieber zur Polizei?«
»Das überlege ich mir noch«, sagte Michelle. »Ich war gerade auf dem Revier, da hat man mir gesagt, Sie hängen hier ab.«
»Darf ich dich zu einer Cola einladen?«
»Gerne. Sagen Sie, die Frau, die Sie jetzt gefunden haben: Ist das die Evi?«
»Leider nicht.«
»Schade.«
Michelle machte ihr listiges Und-dann-ist-da-noch-was-Gesicht.
»Haben Sie sich das Tattoo schon mal daraufhin angesehen, von welchem Tattoostecher es gemacht sein könnte?«
»Ja, das haben wir. Es gibt keinen Hinweis darauf. Die Gerichtsmedizinerin
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