Niedertracht. Alpenkrimi
fehlte, sein Gesicht war mit Pflastern verklebt. Unter dem Foto stand: Unser italienischer Kurgast, der Mailänder Geschäftsmann Carlo L., ist schon auf Weg der Besserung. Alles Gute!
»Der ist weg vom Fenster, das kannst du mir glauben. Der kann froh sein, wenn er dem Padrone noch ein wenig beim Kokainabwiegen zur Hand gehen darf.«
»Unser Duftexperte, der Luigi Odore allerdings, ist spurlos verschwunden«, sagte Schratzenstaller. »Ich habe es nochmals nachgeprüft. Er ist im Umkreis von mindestens dreißig Kilometern nicht zu orten.«
»Das heißt leider nicht, dass er sich außerhalb dieser dreißig Kilometer befindet«, sagte Swoboda nachdenklich. »Odore ist außer uns beiden der einzige, der weiß, mit welchen olfaktorischen Tricks man sich der Kontrolle dieser Mücken entziehen kann. Es ist durchaus möglich, dass sich der Flascherlgeist, der sizilianische, ganz in der Nähe aufhält, in einem Hotelzimmer vielleicht oder in einem hohlen Baumstamm, was weiß ich. Er hat sich den ganzen Körper mit Rasierwasser eingeschmiert und ist dadurch für unsere kleinen Helfer nichts als bäh!«
Schratzenstaller machte eine auffordernde, ungeduldige Handbewegung.
»Jetzt sag schon, Swoboda, was für einen Auftrag hat dir der Padrone gegeben? Gegen wen schlagen wir los?«
Swoboda stand vom Tisch auf und ging in der Wohnküche auf und ab. Sollte er den Imker so weit in das Projekt einweihen? Er zögerte noch. Aber warum eigentlich nicht. Schratzenstaller schien vertrauenswürdig zu sein. Es war unwahrscheinlich, dass er zur Polizei ging. Und er war auch nicht der Typ, der vorhatte, so ein Projekt an sich zu reißen und allein weiterzuarbeiten. Dazu war er zu unorganisiert.
»Also? Was ist?«
Andererseits: Man konnte niemandem trauen. Swoboda überflog ein schlampig eingeräumtes Bücherregal, das in einer Ecke der Küche stand und von dort aus gerade durch seine überquellende Unordnung Respekt einflößte. Das meiste war entomologische und bienenkundlerische Literatur. Swoboda blätterte in einem der Schinken herum. Die Seiten waren übersät mit unleserlichen Randnotizen Schratzenstallers.
»Was darf ich mir unter einem Gemeinen Schwemmscheibenduckling vorstellen?«, fragte Swoboda.
»Eine Schnakenart. Der Schwemmscheibenduckling ist ein Verwandter des –«
»Schon gut.«
Dazwischen stieß Swoboda auf allerlei abgegriffene Bücher mit Schwarzweißfotos von bärtigen Desperados auf dem Umschlag. Er zog ein Buch heraus und hielt es hoch.
»Michail Bakunin! Den kenn ich, den Urvater aller Querulanten. Aber wer ist Sergei Netschajew?«
»Ebenfalls ein Anarchist. Noch einen Dreh nihilistischer als Bakunin. Von dem musst du einmal was lesen. Aber jetzt lenk nicht ab. Wen müssen wir beobachten?«
Swoboda stellte das Buch wieder zurück.
»Gut, ich sag es dir. Du bist so in das Projekt involviert, dass du es wahrscheinlich über kurz oder lang eh herausbekommst.«
Swoboda zog ein Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts.
»Die Namen auf dieser Liste werden dir als weltabgewandtem Eremiten vielleicht nichts sagen. Kennst du Mark van Bommel und Wesley Sneijder? Nicht? Das sind zwei Mitglieder der holländischen Fußballnationalmannschaft, die gerade im Ort zu Besuch sind. Dann habe ich hier einen internationalen Fußballschiedsrichter, der Name wird dir gleich zweimal nichts sagen. Er ist passionierter Kletterer und wohnt in der Pension Seeblick. Der Nationaltorhüter von Kroatien wiederum hat hier ganz in der Nähe eine Villa –«
Schratzenstaller war enttäuscht.
»Was – lauter Fußballer? Ich dachte, da kommen jetzt Wirtschaftsbosse, Bundesrichter, Spitzenpolitiker, Kurienkardinäle – am Ende vielleicht sogar der Papst selbst.«
»Ja, von denen sind auch welche hier, aber ich sage dir: Selbst mit dem Papst kann man nicht so viel Geld verdienen wie mit Fußball.«
Schratzenstaller zog die Augenbrauen misstrauisch hoch. Es ging also ums nackte Geld, nicht um aktionistische Anarchoaktionen, die den Staatsbetrieb wenigstens für eine kurze Zeit blockierten.
»Du scheinst dich nicht sehr für Fußball zu interessieren, Schratzenstaller.«
»Nicht besonders.«
»So gehts mir auch. Aber von der Weltmeisterschaft wirst du doch schon einmal gehört haben? Alle vier Jahre wieder, hä? An dieser Veranstaltung kommst du inzwischen eigentlich nicht mehr vorbei. 2006 in Deutschland? Das Sommermärchen?«
»Habs am Rande mitbekommen.«
»Pass auf, dann muss ich dir ein bisschen Nachhilfe
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