Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
»übernationale menschliche Gesellschaft auf Erden« zu ermöglichen, wie es der Chemiker Victor Weisskopf einmal ausgedrückt hatte. Bohr sorgte beispielsweise dafür, dass sein Institut als erste westliche wissenschaftliche Einrichtung nach dem Krieg auch Physiker aus Polen und der Sowjetunion zum Gedankenaustausch einlud. Dadurch gelang es ihm, im neutralen Dänemark erneut eine Atmosphäre zu schaffen, die für gelebte Internationalität stand.
Weiterhin bemühte sich Bohr in den folgenden Jahren um die Einrichtung übernationaler Forschungszentren, in denen Wissenschaftler aus vielen Nationen zusammenarbeiten konnten. 1954 war Bohr beispielsweise beteiligt, als die Europäische Organisation für Kernforschung ihre Arbeit aufnahm und das europäische Zentrum für Kernforschung, das Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN), einrichtete. CERN betreibt heute im schweizerischen Genf einen der größten Teilchenbeschleuniger der Welt; die dort tätigen Wissenschaftler befassen sich nur mit Grundlagenproblemen. Für diese Gründung haben sich vierzehn europäische Nationen zusammengeschlossen und nach und nach realisiert, was
Bohr sich erträumt hatte – ein internationales und offenes Projekt, »das ausschließlich der Erforschung der Natur ohne jede kommerzielle oder militärische Absicht dient«, wie Weisskopf schreibt. »Es war Niels Bohrs Persönlichkeit und Niels Bohrs Einfluss, die dies möglich gemacht haben.«
Im Verlauf der 1950er Jahre wurde – unter Beteiligung von Bohr – die International Atomic Energy Commission gegründet. Bohr selbst übernahm 1955 den Vorsitz der Dänischen Atomenergiekommission. Nachdem der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor den Vereinten Nationen in New York eine Rede mit dem Titel »Atoms for Peace« gehalten hatte, wurde eine »Atoms for Peace«-Konferenz organisiert, die ab 1957 den »Atoms for Peace Award«, einen Preis zur Förderung der Entwicklung und friedlichen Anwendung von Atomenergie, verlieh. Als erster Preisträger wurde Bohr geehrt. Im gleichen Jahr regte er die Gründung des Nordic Institute for Theoretical Physics (NORDITA) mit Sitz in Stockholm an, das eng mit dem Institut am Blegdamsvej in Kopenhagen kooperierte.
Als Bohr 1962 starb, ging ein heroisches Zeitalter der Wissenschaft zu Ende. Bohr war schon zu Lebzeiten eine Legende geworden: Die Wissenschaftshistoriker sammelten seine Briefe, baten ihn um Interviews und nahmen seine Antworten auf Band auf. In seinem letzten Gespräch am 17. November 1962 betonte Bohr, wie offensichtlich doch die Vorstellung der Komplementarität sei. Er äußerte sich zuversichtlich, dass sie eines Tages den Schulkindern einleuchten würde. Auch diese Äußerungen wurden auf Tonband festgehalten. Wenn man die Aufzeichnung abspielt, hört man eine sanfte Stimme, die eine leise, aber eindrückliche Melodie zu singen scheint: »You know, it is very obvious.«
Am Sonntag nach diesem Interview – es war der 18. November – plante Bohr, den Abend mit Freunden zu verbringen. Am Nachmittag legte er sich hin, um ein wenig zu schlafen. Er wachte nicht mehr auf.
KAPITEL 2
Stabilität und Ordnung der Elemente
Zu den großen und grundlegenden Ideen zählen die Vorstellungen von Atomen und Elementen. Sie gehören eng zusammen, obwohl sie verschiedenen Wissenschaften zugeordnet werden, aus verschiedenen Sprachen stammen und vor allem unterschiedlich erfahrbar und sinnlich greifbar sind.
Die Atome bleiben unsichtbar, sie tragen einen griechischen Namen, der ausdrückt, dass sie als unteilbar gelten, und erforscht werden diese Grundbausteine der Natur von der Physik. Die Elemente hingegen – etwa in Form von Eisen und Schwefel – kann man in die Hände nehmen und ertasten, man kann sie riechen, schmecken und sehen, sie werden mit dem lateinischen Wort für »Grundstoff« bezeichnet und der Chemie zugerechnet, die sie charakterisiert oder in der Art von »Wahlverwandtschaften« miteinander verbindet.
Im Verlauf des 19. Jahrhundert hatte man verstanden, dass es möglich ist, die in der Natur vorgefundenen und unserer Wahrnehmung zugänglichen Elemente aufgrund von chemischen Ähnlichkeiten in eine periodische Ordnung zu bringen. Man hatte darüber hinaus erkannt, dass das dazugehörige Schema aus der Tatsache resultierte und erklärt werden musste, dass sich die konkret vorliegenden chemischen Grundstoffe aus abstrakt bleibenden physikalischen Atomen zusammensetzen, auch wenn die so
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