Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
als das Periodensystem aus der Taufe gehoben wurde, und Mendelejew war von seiner gelungenen Einsicht in die Ordnung der Dinge derart begeistert, dass er sich zu einem großen Bekenntnis aufschwang (mit »Individuen« meinte er die Elemente, die er erforschte):
Kant glaubte, es existierten im Universum zwei Dinge, die im Menschen Bewunderung und Ehrfurcht wecken: »der bestirnte Himmel über uns und das moralische Gesetz in uns«. Mit der Ergründung der Natur der Elemente und des Periodengesetzes muss ihnen ein drittes hinzugefügt werden: »die Natur der elementaren Individuen, die sich um uns herum äußert«, insofern wir uns ohne diese Individuen keine Vorstellung vom bestirnten Himmel machen könnten, während der Atombegriff die Einzigartigkeit der Individualitäten, die unendliche Wiederholung der Individuen und zugleich ihre Unterordnung unter die harmonische Ordnung der Natur erweist. (siehe Literaturhinweise, Serres)
Bild 13
Das periodische System der Elemente in der Version des späten 19. Jahrhunderts, das Niels Bohr als Student lange Jahre vor Augen hatte
Niels Bohr in England
Das 19. Jahrhundert hatte die Ordnung der materiellen Dinge – das Periodensystem der Elemente – erkannt und dem individuellen Atom darin die Aufgabe zugewiesen, für diese verantwortlich zu sein. Die große und zugleich akute Frage zu Beginn des 20. Jahrhunderts lautete nun: Wie und aus welchen Grundformen heraus lässt sich dieses Ordnungsschema erklären? Wie hatte man sich die Atome vorzustellen, damit sie in der Lage sind, eine solche periodische Präsentation der Elemente zu ermöglichen? Was lag dem allen zugrunde?
Erste Antworten auf diese Fragen wurden von den Physikern in England erwartet, die von der wissenschaftlichen Gemeinde als führend angesehen wurden und denen neben der besten Ausbildung die fortschrittlichsten Apparate zur Verfügung standen. Niels Bohr machte sich deshalb 1911 auf den Weg nach Cambridge zu J. J. Thomson, dem bewunderten Entdecker des Elektrons. Mit ihm wollte Bohr ausführlich über die Bausteine der Atome – und die Bauteile der Dinge selbst – sprechen.
J. J. Thomson galt als die Autorität der Physik schlechthin. Er hatte nicht nur einen berühmten Lehrstuhl – er war wie einst Isaac Newton Cavendish Professor für Experimentelle Physik –, er hatte ihn auch schon seit seinem achtundzwanzigsten Geburtstag inne. Als Bohr voller jugendlicher Begeisterung in Thomsons Laboratorium eintraf, war der große Meister der Physik fünfundfünfzig Jahre alt und auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Doch dies schüchterte Bohr kaum ein. Im Gegenteil, es verlieh ihm Mut und machte ihm Hoffnung, Thomson könne ihm mit seinem Einfluss dazu verhelfen, seine Dissertation in einer renommierten Fachzeitschrift zu publizieren.
Offenbar hatte es Bohr mit diesem Vorhaben so eilig, dass er seinen persönlichen Wunsch gleich bei dem ersten Zusammentreffen mit Thomson unmissverständlich vortrug. Und da Bohr schon einmal dabei war, in die Fettnäpfchen auf dem akademischen Parkett zu treten, machte er sich anschließend sogar noch unbeliebter, indem er sein Gegenüber fröhlich und voller Stolz darüber informierte,
in dessen letzter Publikation gelesen und dabei einige Fehler und Unklarheiten bemerkt zu haben, die sich aber leicht beheben ließen. Bohr wollte Thomson natürlich nicht kritisieren, er gab seine Hinweise, »nur um zu lernen«, wie die dazugehörige Physik der Elektronen korrekter und überzeugender dargestellt werden könne. Wie er anschließend wiederholt versicherte, war sich Bohr mit dem Briten viel mehr einig, als es den Anschein hatte.
Man kann sich vorstellen, dass Thomson über die Kritik nicht besonders begeistert war. Das hatte zur Folge, dass die Zusammenarbeit mit Bohr sich erst mühsam gestaltete und dann einfach lautlos zu Ende ging. Zwar hat der Brite Bohrs Doktorarbeit tatsächlich an eine Fachzeitschrift weitergeleitet, als aber die Redaktion den Text um die Hälfte kürzen wollte und der Autor dies strikt verweigerte, da unternahm Thomson nichts – mit dem Ergebnis, dass Bohrs Dissertation bis heute in englischer Sprache ungedruckt geblieben ist und nur in wenigen dänischen Exemplaren vorliegt.
Das vermutlich Beste, was man über Bohrs Aufenthalt in Cambridge sagen kann, betrifft die englische Sprache; durch die intensive Lektüre von Charles Dickens’ Romanen verbesserte er seine Kenntnisse darin erheblich.
Bohr zog es dann nach Manchester, wo im Mai 1911 ein
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