Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Atoms werden durch die Bahnen bestimmt, auf denen die Elektronen unterwegs sind. Die Quantennatur der Atome legt fest, dass zwischen den Bahnen Lücken bestehen, die nur durch Sprünge überwunden werden können.
So populär und einleuchtend diese Konstruktion bis auf den heutigen Tag wirkt, so viele Fragen tauchen auf, wenn man sich ausführlich auf das Modell einlässt und nach den Bedingungen seiner Herkunft und seiner Konzeption fragt. Was hat Bohr anders gemacht als Rutherford? Wie konnte er die Hürden überwinden, an denen sein Kollege gescheitet ist? Und was musste überhaupt in Bohrs Denken passieren, um das Atommodell hervorzubringen?
Was Bohr – neben der Balmer-Serie und den Daten in Form der Spektrallinien – entscheidend half, war der umwälzende Gedanke von Max Planck, den der Berliner Physiker im Jahr 1900 in die Welt der Wissenschaft eingeführt hatte und der heute als Quantensprung populär geworden ist. Planck hatte bemerkt, dass sich das Licht, das schwarze Körper aussenden, wenn sie nach und nach erwärmt und zum leuchtenden Glühen gebracht werden, exakt berechnen und somit im Sinne der Physik verstehen lässt unter der Annahme, dass seine Energie nicht kontinuierlich fließt, sondern in kleinen diskreten »Päckchen« daherkommt. Was von Planck zunächst nur als mathematische Hilfsgröße gedacht war und in seinen Augen keine physikalische Bedeutung bekommen sollte, wandelte Bohr ein Dutzend Jahre später völlig um. Er gab Plancks Quanten ihre unentbehrliche physikalische Wirklichkeit und deutete sie als real existierende Qualität von Atomen. Diese Grundformen der Materie geben Licht – genauer: Lichtenergie – in exakt der Quantenform ab, die Planck eingeführt hatte. Und sosehr Planck unter seiner eigenen Leistung litt und sogar das Wort »Verzweiflung« dafür bemühte, so sehr freute sich Bohr über das Zaubermittel, das ihm mit den spontanen Quantensprüngen zur Verfügung stand. Mit ihrer Hilfe konnte er die Balmer-Serie ableiten und verstehen.
Bild 16
Ein Atom im Grundzustand kann keine Energie freigeben, wohl aber aufnehmen, um in einen angeregten Zustand zu kommen, von dem es dann durch einen Quantensprung wieder in die Ausgangslage zurückkehren kann. Dabei wird Licht ausgesendet, dessen Energie nur diskrete Werte annehmen kann, die in Linien – wie im Wasserstoffspektrum – sichtbar werden.
Quantensprünge sind im Wortsinn Sprünge, und damit widersprach ihre Existenz der Forderung, die der Philosoph und Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz im 18. Jahrhundert zum Ausdruck gebracht hatte, als er schrieb: »Die Natur macht keine Sprünge.« Die Natur sollte stetig, kontinuierlich und durchgängig definiert sein und an keiner Stelle so etwas wie Leere oder gar ein Nichts enthalten. Genau diese Idee verletzen die Quantensprünge aber, die in Bohrs Atom ihre physikalische Aufgabe bekommen, ohne selbst physikalisch fassbar zu sein. Sie finden einfach statt, sie benötigen weder Grund noch Zeit, und da alles in einem Atom passiert, nehmen sie auch kaum irgendwelchen Raum ein. Jede
Erkenntnistheorie muss ihre Probleme mit den Quanten haben, was Philosophen dazu brachte, entweder zu verzweifeln oder wegzusehen. Was ein Quantensprung tatsächlich ist oder als Möglichkeit liefert, bleibt noch zu klären. Er ist auf keinen Fall das, was in heutigen Reden aus ihm gemacht wird, etwa wenn Manager fordern, ihr Unternehmen müsse einen Quantensprung machen, und zwar einen großen, und außerdem nach vorn. Die echten Quantensprünge der Natur sind völlig anders. Sie sind das Kleinste, was die Welt neben dem Nichts anbietet, sie gehen meist nach unten und lassen das, was gesprungen ist, in einem Grundzustand zurück, in dem Ruhe herrscht und nichts weiter passiert. Unternehmen, denen solche Quantensprünge gelingen, gehen pleite. Die Atome bleiben dabei gelassen.
Bohr selbst war also »alles klar«, während die anderen Physiker sich immer noch in den Widersprüchen und Ungereimtheiten verfingen, die nach wie vor zwischen Rutherfords Versuchsergebnissen und den Gesetzen der klassischen Physik bestanden. Der Grund für Bohrs Gelassenheit in dem ganzen Durcheinander liegt in seiner bereits angesprochenen souveränen Bereitschaft, scheinbar Unvereinbares zusammen zu denken und die Anfänge von Erklärungen unerklärt zu lassen – also nicht logisch, sondern schöpferisch tätig zu sein. Überhaupt machte es Bohr nichts aus, vieles unverstanden und rätselhaft zu belassen,
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