Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
keinen Fall mit Dingen anfangen, die materiell im herkömmlichen Sinn sind. Wenn die Atome aus Teilen wie Elektronen und Kernen mit – wenn auch sehr kleinen – Massen modelliert
werden, wie Rutherford und seine Vorgänger es unternommen hatten, dann sollte es fast ausgeschlossen sein, dass diese Gegebenheiten sich den bekannten Gesetzen der Physik fügen. Mit anderen Worten: Die im Experiment aufgedeckte unmögliche Tatsache war das Beste, was der Physik – und vor allem dem Paradoxien anhängenden Bohr – widerfahren konnte. Das widersprüchliche Versuchsergebnis zeigte, dass man die Denkfalle tatsächlich zu umgehen hoffen konnte, bei der das vorausgesetzt wird, was man erklären will – sei es das immaterielle Denken des dänischen Studenten, sei es das materielle Atom des dänischen Physikers.
Nun kann niemand sicher sagen, wie sich Bohrs Gedanken zu den Atomen geformt und entwickelt haben, und dieses »niemand« schließt den denkenden Physiker selbst mit ein (wie Bohr ebenfalls bei Møllers dänischem Studenten gelernt hatte). Es ist aber möglich, den Weg nachzuzeichnen, den Bohr beschritt; er beginnt mit der von den Atomen ausgehenden Strahlung, auf die das schwedische Nobelkomitee 1922 hinweisen wird.
Das Licht der Atome
Das Licht, das Atome aussenden, war seit Längerem immer genauer untersucht worden. Dabei hatte sich gezeigt, dass einzelne Atomsorten – zum Beispiel Wasserstoff – kein diffuses, sondern scharf bemessenes Licht abstrahlen, das sich durch die sogenannten Spektrallinien kennzeichnen ließ. Jede Linie repräsentiert das Licht einer bestimmten und genau messbaren Wellenlänge, was auch bedeutet, dass das Licht einer Spektrallinie über eine ebenso genau berechenbare Energie verfügt.
Nun war es dem Schweizer Mathematiker Johann Jakob Balmer 1885 gelungen, für die Reihe der Linien, die sich bei Wasserstoffatomen beobachten lassen, eine einfache Rechenvorschrift anzugeben. Die Wissenschaft spricht von der Balmer-Serie, die das geübte Auge klar erkennen lässt, dass sich die Energie des von einem Atom ausgestrahlten Lichts als Differenz ergibt.
Die verschiedenen Linien des Wasserstoffspektrums, die von den Physikern mit griechischen Indizes versehen wurden. Es fällt auf, dass die Abstände mit abnehmender Wellenlänge enger werden. Hierfür entwickelte der Schweizer Mathematiker Johann Jakob Balmer eine Formel, die mit Bohrs Atommodell triumphal erklärt werden konnte.
Balmers Entdeckung der Wasserstoffserie
Die Entdeckung der Wasserstoffserie gelang übrigens auf wundersam unlogische, nämlich ästhetische Weise, wie der Historiker Klaus Hentschel schreibt: »Während in der Standardliteratur zur Vorgeschichte der Quantentheorie Balmers Leistung als glücklicher Erfolg einer algebraisch-pythagoräischen Suchstrategie gewertet wurde, ... behaupte ich, dass Balmers Heuristik sehr viel stärker von visuellen Analogien bestimmt war: Das Wasserstoffspektrum erinnerte mich sofort an perspektivische Verkürzungen (wie zum Beispiel den abnehmenden Abständen zwischen äquidistanten Säulen von der Seite betrachtet). Vor ihm hatten alle ... das Spektrum mit der Brille des Physikers betrachtet. Er betrachtete Spektren ... mit den Augen des darstellenden Geometers. Deshalb erscheint ihm die asymptotische Konvergenz hin zur kürzesten Wellenlänge ... analog dem Fluchtpunkt der Perspektive! Es handelt sich hier um eine Art ›Gestaltzwang‹ in Analogie zu Ludwik Flecks ›Denkzwang‹, der mit jedem Denkstil verbunden ist.«
»Als ich die Balmer-Formel sah, war mir alles klar« – so wird Bohr auf dem Weg zu einem Verstehen des Lichts gern zitiert. »Alles« meint das Modell des Atoms, das unter seinem Namen berühmt geworden ist und die Kunst vielfach – etwa zu einem Atomium – inspiriert hat. In diesem Bohr’schen Atommodell gibt es genau den Kern, auf den Rutherfords Experimente gestoßen waren. Er wird umrundet von Elektronen, denen Bohr nachdrücklich feste Bahnen zuordnete, zwischen denen er ihnen zu springen erlaubt. Wenn die Elektronen nun bei diesen sogenannten Quantensprüngen im Atom von einer Bahn mit viel Energie auf eine Bahn mit weniger Energie wechseln, dann geben sie die Differenz in Form von Strahlen ab, deren Frequenz gemessen und als Linie notiert werden kann.
Bild 15
In dem Atommodell von Niels Bohr umkreisen negativ (−) geladene Elektronen einen Kern, in dem es positiv (+) geladene und neutrale Teilchen gibt. Die für uns interessanten Zustände eines
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