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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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betrachtete dann aufmerksam den danebenstehenden Baum.
     Das war auch eine große, hohe Tanne, und sie sah ganz ebenso aus. »Was kann das doch nur sein?« dachte Karr. »Es ist ein Jammer
     um die schönen Bäume. Es ist bald nichts Schönes mehr an ihnen.« Er ging von Baum zu Baum und suchte zu entdecken, was ihnen
     fehlte. »Da steht eine Fichte, die haben sie wohl nicht anzurühren gewagt,« dachte er. Aber auch die Fichte hatten sie angegriffen.
     »Und die Birke da! Ja, auch die, auch die! Darüber wird sich der Holzwärter nicht freuen,« dachte Karr.
    Er lief tiefer in das Dickicht hinein, um zu sehen, wie weit die Zerstörung um sich gegriffen hatte. Wohin er kam, hörte er
     dasselbe Ticken, spürte er denselben Geruch, sah er denselben Nadelregen. Er brauchte gar nicht stillzustehen, um es zu sehen.
     Diese Zeichen sagten ihm, wie es stand. Die kleinen Larven waren überall. Der ganze Wald schwebte in Gefahr, von ihnen kahl
     gefressen zu werden.Plötzlich kam er an eine Stelle, wo er den starken Tannenduft nicht spüren konnte, und wo es still und ruhig war. »Hier hat
     ihre Herrschaft ein Ende,« dachte er, stand still und sah sich um. Aber hier war es noch schlimmer, hier hatten die Larven
     ihre Arbeit schon beendet, und die Bäume standen ohne Nadeln da. Sie waren wie tot, und das einzige, was sie bedeckte, waren
     eine Menge zusammengerollter Fäden, die die Larven gesponnen und als Brücken und Wege benutzt hatten.
    Hier zwischen den sterbenden Bäumen stand Graufell und wartete auf Karr. Aber er war nicht allein; neben ihm standen vier
     alte Elche, die angesehensten im Walde. Karr kannte sie. Es war Krummrück, ein kleiner Elch, dessen Höcker aber größer war
     als der aller anderen, Hornkrone, der größte von der ganzen Elchschar, Struwwelmähne mit dem dicken Pelz und ein alter, hochbeiniger,
     der Großkraft hieß, und schrecklich heftig und kampflustig gewesen war, bis er auf der letzten Herbstjagd eine Kugel in den
     Schenkel bekommen hatte.
    »Was in aller Welt geht hier mit dem Walde vor sich?« fragte Karr, als er zu den Elchen herankam, die die Köpfe hängen ließen
     und die Oberlippe verschoben und sehr nachdenklich aussahen. – »Das weiß niemand,« antwortete Graufell. »Dies Insektenvolk
     ist das schwächste im ganzen Walde gewesen und hat bisher niemals Schaden angerichtet, aber in den letzten Jahren hat es plötzlich
     an Zahl zugenommen, und nun siehst du, daß es den ganzen Wald zerstören wird.« – »Ja, es sieht schlimm aus,« sagte Karr, »aber
     ich sehe, daß die Klügsten imWalde sich versammelt haben, um zu beraten, und sie haben vielleicht schon eine Abhilfe gefunden?«
    Als der Hund so sprach, erhob Krummrück sehr feierlich den schweren Kopf, schlug mit den langen Ohren um sich und sagte: »Wir
     haben dich hierher bestellt, Karr, um zu erfahren, ob die Menschen von dieser Zerstörung wissen.« – »Nein,« sagte Karr, »so
     tief in das Dickicht hinein kommt ja niemals ein Mensch außer in der Jagdzeit. Sie wissen nichts von dem Unglück.« – »Wir,
     die wir alt im Walde geworden sind,« sagte alsdann Hornkrone, »glauben nicht, daß wir Tiere allein mit dem Insektenvolk fertig
     werden können.« – »Wir finden, das eine ist fast ein ebenso großes Unglück wie das andere,« sagte Struwwelmähne. »Nun hat
     es wohl ein Ende mit dem Frieden im Walde.« – »Aber wir können doch nicht den ganzen Wald zerstören lassen,« sagte Großkraft.
     »Uns bleibt keine Wahl.«
    Karr begriff, daß es den Elchen schwer wurde, zu sagen, was sie wollten, und er suchte ihnen zu Hilfe zu kommen. »Ihr wollt
     vielleicht, daß ich die Menschen wissen lasse, wie es hier steht?« Da nickten alle die Alten mehrere Male. »Es ist hart für
     uns, daß wir gezwungen sind, die Menschen um Hilfe zu bitten, aber wir wissen uns nicht anders zu helfen.«
    Bald darauf war Karr auf dem Heimwege. Als er in der größten Sorge über das, was er gehört hatte, dahin eilte, begegnete er
     einer großen, schwarzen Natter. »Willkommen im Walde!« zischte die Schlange. »Gleichfalls willkommen!« bellte Karr und wollte
     weitereilen, ohne sich aufzuhalten. Aber die Natter kehrte um und suchte,ihn einzuholen. »Vielleicht ist sie auch betrübt über den Wald,« dachte Karr und blieb stehen. Die Natter begann sofort,
     von der großen Zerstörung zu reden. »Nun hat es wohl ein Ende mit dem Frieden und der Ruhe hier im Walde, wenn erst nach den
     Menschen geschickt wird,« sagte sie.

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